Möglichkeiten der Zwangsbelegung bei Wohnungsnot
Große Anfrage Fraktion DIE LINKE:
Im Fall von Wohnungsnot steht den Kommunen die Möglichkeit zu, Menschen ohne Wohnung auch dadurch unterzubringen, dass für leerstehenden Wohnraum oder andere Räumlichkeiten in privatem Besitz eine Zwangsbelegung angeordnet wird. Diese Möglichkeit wird selten genutzt, gewinnt aber angesichts der derzeitigen Überforderung des Wohnungsmarkts, auch durch die steigenden Flüchtlingszahlen, an Bedeutung. Die Stadt Berlin hat nach Presseberichten ein ehemaliges Bankgebäude beschlagnahmt, das jetzt als Erstaufnahmestelle genutzt wird. In Hamburg, Tübingen und vielen anderen Städten wird die Frage der Zwangsbelegung aktuell aufgeworfen.
Angesichts der dramatischen Probleme, geeigneten Wohnraum und hinreichende Unterbringungsmöglichkeiten zu finden, stellt sich die Frage, ob private Eigentümer von leerstehenden Gebäuden es beliebig ablehnen dürfen, diese Gebäude für die Bekämpfung des Wohnungs- und Unterbringungsnotstands anmieten zu lassen. Schließlich müsste auch in dem Fall, wo EinwohnerInnen z.B. durch Wetterereignisse oder Großbrände massenhaft ihre Wohnung verloren haben, der Staat unmittelbar handlungsfähig sein. Wenn über Beschlagnahme von Wohnraum und Gebäuden diskutiert wird, ist zuvor allerdings auch zu fragen, ob seitens der zuständigen Behörden andere Möglichkeiten der Anmietung wirklich ausgeschöpft werden.
Die Abwendung von unfreiwilliger Obdachlosigkeit durch die zwangsweise Heranziehung von geeigneten Räumlichkeiten in Privatbesitz gehört klassischerweise zu den polizeilichen Aufgaben. Zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr kann die Polizei die Beschlagnahme (im Bremischen Polizeigesetz „Sicherstellung“) von Sachen anordnen (§ 23 Nr. 2 Bremisches Polizeigesetz). Damit ist die Grundlage gegeben, auch Wohnraum zu beschlagnahmen, wenn das Grundrecht auf Wohnen für konkrete Personenkreise akut gefährdet ist.
In den 70er Jahren wurden mit den Wohnungsbaugesellschaften Verträge abgeschlossen, mit denen die Möglichkeit der Beschlagnahmung nach dem Obdachlosenpolizeirecht (OPR) abbedungen wurde durch die Verpflichtung der Wohnungsbaugesellschaften, einen bestimmten Anteil der Sozialwohnungen in ihrem Bestand an Wohnungsnotfälle zu vergeben. Mit der „Bremischen“ wurde der sogenannte „1000er-Vertrag“ abgeschlossen; die Zahl der zu belegenden Wohnungen wurde jedoch seither immer weiter reduziert. Eine Vorhaltung von freien Wohnungen, um Wohnungsnotfälle bei Bedarf unverzüglich in diesen unterbringen zu können, wird seitens der Stadt Bremen nicht betrieben.
Die Möglichkeit, zwangsweise auf leerstehende Wohnungen und Gebäude zugreifen zu können, muss auch für Bremen geklärt werden.
Wir fragen den Senat:
1. Auf welcher Rechtsgrundlage und unter welchen Voraussetzungen ist in Bremen und Bremerhaven die Beschlagnahme (Sicherstellung) von Wohnraum (bzw. geeigneten Gebäuden, Flächen und nicht als Wohnraum ausgewiesenen Räumlichkeiten) durch die öffentliche Hand möglich?
2. Wie sieht in einem solchen Fall das Verfahren aus?
3. Hat sich die rechtliche Situation durch Änderungen im Polizeirecht in den letzten Jahren verändert?
4. Was genau meint der Begriff „Obdachlosenpolizeirecht“? Wo ist dieses niedergelegt, und was beinhaltet es?
5. Wie viele sogenannte OPR-Wohnungen gibt es derzeit noch, und wie hat sich ihre Zahl seit den 70er Jahren entwickelt? Handelt es sich dabei um nach OPR beschlagnahmte Wohnungen, oder um Wohnungen aus Verträgen zur Abwendung des OPR-Zugriffs?
6. Weshalb hält die Kommune Bremen keinen freien Wohnraum vor, um Menschen in Wohnungsnot tatsächlich unmittelbar versorgen zu können?
7. Wie würde der Senat die Versorgung mit Wohnraum sicherstellen, wenn durch plötzliche Ereignisse (wie z.B. Sturm, Großbrand oder Hochwasser) größere Zahlen von EinwohnerInnen ihre Wohnungen verloren hätten? Auf welcher rechtlichen Grundlage würden dann z.B. private Gebäude unmittelbar in Anspruch genommen?
8. Wie bewertet der Senat die Situation, dass leerstehende Gebäude in privatem Besitz trotz Angeboten der Kommune nicht zur Verfügung gestellt werden, um die drängenden Probleme der Unterbringung zu bekämpfen? In wie vielen Fällen ist dies in den letzten 12 Monaten passiert?
9. Wie viele Wohnungen in privatem Besitz sind den Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven in den letzten 12 Monaten zur Anmietung zur Unterbringung von Geflüchteten angeboten worden? In wie vielen Fällen ist eine solche Anmietung zustande gekommen? In wie vielen Fällen nicht, und woran ist es gescheitert?
10.Wie viele Personalstellen (in Köpfen und in Vollzeitstellen) sind im Land Bremen derzeit mit der Suche nach potentiellen Anmietungsobjekten zur Wohnunterbringung beschäftigt?
11.Sind dem Senat Fälle aus anderen Kommunen in den letzten 12 Monaten bekannt, wo potentieller Wohnraum zwangsbelegt wurde, um Geflüchtete unterzubringen?
12.Welche Informationen hat der Senat darüber, in welchem Umfang in den letzten 12 Monaten bundesweit Wohnungen nach Obdachlosenpolizeirecht beschlagnahmt wurden, um Wohnungslose unterzubringen?
13.Wie bewertet der Senat die Möglichkeiten und Chancen, Bremerhaven angesichts höherer Leerstände und geringerer Wohnungsnachfrage stärker für die Unterbringung von Geflüchteten zu nutzen?
14.Wie bewertet der Senat die Möglichkeit, eine generelle Meldepflicht für Leerstand einzuführen?
15.Wie bewertet der Senat die Möglichkeit, den Abriss von Gebäuden einzuschränken, z.B. durch Aufhebung der Verfahrensfreiheit von Gebäudeabrissen nach § 61 LBO oder durch Erlass von Veränderungssperren?
16.Welche Informationen aus Beiräten, Ortsämtern und Stadtverordnetenversammlung hat der Senat über leerstehende Gebäude und Wohnungen? Über welche Informationskanäle erfährt der Senat überhaupt von leerstehenden und potentiell zur Unterbringung geeigneten Gebäuden?
17.Wer ist beim Senat, in der Senatsverwaltung und in den Ressorts zuständig dafür, Hinweisen auf potenziell nutzbare Wohnungen und Gebäude nachzugehen? Wie werden diese Hinweise geprüft? Auf welcher Grundlage werden Angebote gemacht? Wer entscheidet über die Rahmenbedingungen etwaiger Nutzungsverträge, wer fertigt sie aus?
Claudia Bernhard, Sofia Leonidakis, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE.