Leonidakis: Pflege sollte keine Ware sein!

Renditebegrenzung in der Pflege einführen – Private-Equity-Gesellschaften stärker regulieren

Im Zuge der Corona-Pandemie rückten der Pflegesektor und dessen Probleme einmal mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Aktuell sind rund vier Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig – Schätzungen zufolge könnten es bis 2050 über fünf Millionen sein. Analog dazu gehören die Aus-gaben für Altenpflege zu den am schnellsten wachsenden in der EU, Tendenz weiter steigend. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird der Bedarf an Pflegeplätzen und neuen Pflegeheimen daher weiter ansteigen. Laut dem Zentralen Immobilienausschuss werden deutschlandweit bis Ende dieses Jahrzehnts bis zu 390 zusätzliche Einrichtungen und bis zu 293.000 zusätzliche Pflegeheimplätze benötigt.

In Deutschland wurde 1995 die Pflegeversicherung als neuer eigenständiger Zweig der Sozialversicherung in Deutschland eingeführt, wodurch der Pflegebereich für private Anbieter systematisch geöffnet wurde. Während sich zunächst vermehrt mittelständisch geprägte, inhabergeführte Pflegeheime etablierten, drängen in den letzten Jahren vermehrt sogenannte „Private-Equity-Gesellschaften“ in diesen Bereich. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die Gelder von Dritten in einem Fonds bündeln – zum Beispiel von Pensionsfonds oder vermögenden Privatpersonen. Für diese legen sie die Gelder mit dem Versprechen auf hohe Renditen an, indem sie Pflegeeinrichtungen aufkaufen, zu neuen Unternehmen zusammenschließen und diese innerhalb eines geringen Zeithorizontes mit hohem Gewinn weiterverkaufen. Weitere Praktiken bestehen darin, dass sie die Heime zur Erzielung hoher Renditen verschulden oder durch sale-and-lease-back-Strategien (bestehende Häuser werden verkauft und vom Unternehmen zurückgemietet, wodurch es seine Vermögenswerte verliert) zu Abgaben an den Fonds bringen. Oft agieren die Muttergesellschaften von Offshore-Finanzzentren aus, um sich Regulierungen und Steuern zu entziehen. Diese Instrumentarien, die im Rahmen gesetzlicher Möglichkeiten stattfinden, sowie Private-Equity-Gesellschaften generell gilt es vor diesem Hintergrund einzuschränken.

Auch wenn aktuell das Bild der Pflegewirtschaft in Deutschland noch mittelständisch geprägt ist, verändert sich die Lage zunehmend durch das skiz-zierte verstärkte Auftreten von privaten Investoren. Letztere gilt es somit im Hinblick auf Regulierungsmechanismen mehr in den Blick zu nehmen, ohne dabei den inhabergeführten privaten Pflegeheimen zu schaden. Unter den 30 größten Anbietern von Pflegeeinrichtungen sind in Deutschland nur acht gemeinnützige. Ähnlich gestaltet sich auch die Situation im Bundesland Bremen.

Aufgrund der demographischen Entwicklung und der damit verbundenen steigenden Pflegeausgaben stellen Pflegeheime für private Geldgeber in Form von Private-Equity-Gesellschaften ein lukratives Investment dar: Der Pflegebereich liefert verlässliche Einkommensströme aufgrund von Pflegeversicherungen, Steuergeldern und Eigenbeteiligungen von Patient:innen und Angehörigen. Diese zunehmende „Finanzialisierung“ ist auch in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zu erkennen.

Vor diesem Hintergrund verdichten sich zudem erste Hinweise darauf, dass generell eine geringere Qualität der Pflege in von Private-Equity-Gesell-schaften geführten Pflegeheimen vorherrscht. In diesem Zusammenhang wurde vom Recherchenetzwerk „Investigate Europe“ kürzlich über Miss-stände in Heimen von Pflegeheimkonzernen berichtet. Auch in einer Studie von „Finanzwende Recherche“ wurde dies aufgegriffen. Ferner gibt es immer wieder Medienberichte über Missstände in privaten Pflegeeinrichtungen, sei es in Berlin, in Schwerin oder auch in Bremen, wo im Oktober 2021 „buten un binnen“ über ein entsprechendes Pflegeheim in Huchting berichtete.

Aus diesem Grund bedarf es in einem ersten Schritt einer umfassenden bundesweiten Versorgungsstudie, um die Pflegequalität differenziert nach gemeinnützigen, inhabergeführten mittelständischen und Private-Equity-Akteuren systematisch belegen zu können. Darauf aufbauend müssen Re-gulierungsmechanismen entwickelt werden.

Durch den zunehmenden Einstieg von Investoren in den Pflegesektor findet ein grundlegender Paradigmenwechsel statt: Gewinne für die Anteilseig-ner:innen der Fonds rücken dabei zunehmend in den Fokus. Bei Renditen im mitunter zweistelligen Bereich ist dies nicht weiter verwunderlich. Be-zeichnend ist dabei, dass die Private-Equity-Gesellschaften beispielsweise nur rund 50 Prozent ihres Umsatzes für Personal einsetzen – im Vergleich dazu beträgt dieser Anteil mitunter über 60 Prozent bei gemeinnützigen und privaten inhabergeführten Trägern.

Ein prominentes Beispiel stellt die Übernahme des deutschen Heimbetreibers Alloheim, welches auch in Bremen ein Heim betreibt, dar: Dieses wurde 2017 von den Beteiligungskonzernen Carlyle und Nordic Capital für 1,2 Mil-liarden Dollar aufgekauft.
Die so beschriebene „Finanzialisierung“ des Pflegebereichs ist mit einer angemessenen Versorgung der zu pflegenden Personen sowie der Vorstellung eines würdevollen Lebens wenig vereinbar. Die Sozialversicherungsbeiträge müssen für Pflegeleistungen und nicht für rücksichtslose Renditemaximierung genutzt werden. Aus diesem Grund bedarf es tiefgreifender Veränderungen und Reformen, um das verstärkte Eindringen von „Private Equity Gesellschaften“ stärker zu begrenzen. Die Corona-Pandemie hat einmal mehr deutlich gemacht, dass die Gesellschaft auf qualitativ hochwertige und patientenorientierte, funktionierende Pflegeleistungen in hohem Maße angewiesen ist. Auch wenn im Interesse von Selbstbestimmung und Teilhabe im Alter stärker auf ambulante und quartiersbezogene Versorgungsformen gesetzt werden wird, bleibt der stationäre Bereich auf absehbare Zeit wichtig.

Betriebsformen, die gemeinwirtschaftlich, kommunal, genossenschaftlich oder in Stiftungsform organisiert sind, sind zu stärken. Private-Equity-Unternehmen bedürfen jedoch einer besonderen Aufsicht, Regulierung und Kontrolle.

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft (Landtag) beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf:

1. das Thema Private Equity und Finanzialisierung des Pflegesektors auf Bundesebene in die Minister:innenkonferenzen Arbeit und Soziales sowie Gesundheit einzubringen und sich für eine Untersuchung der Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Qualität der betroffenen Pflegeinrichtungen einzusetzen und dabei differenziert gemeinnützige, inhabergeführte bzw. mittel-ständische und Private-Equity-Akteure zu betrachten;
2. sich im Bundesrat dafür einzusetzen,

  • a. dass den Pflegeeinrichtungen und -unternehmen, die von Investoren übernommen werden, nicht die Finanzierungskredite und sonstigen Kosten aus den Übernahmen aufgebürdet werden dürfen ("debt push-down");
  • b. dass die Erlöse aus dem Verkauf von Immobilien und anderen Vermögenswerten von Pflegeunternehmen ("asset-stripping") nicht an Investoren ausgeschüttet werden dürfen, sondern innerbetrieblich reinvestiert werden müssen;
  • c. dass interne Kredite von Investoren an Unternehmen des Pflegesektors bei der Aufsicht angezeigt werden müssen und ihre effektiven Zinssätze nicht das marktübliche Niveau überschreiten dürfen;
  • d. dass die bei den umlagefähigen Investitionskosten zu berücksichtigenden Finanzierungskosten, Mieten, Leasingaufwendungen und sonstigen Aufwendungen nur in der marktüblichen Höhe anrechenbar sind;
  • e. dass die Teile der geltend gemachten Investitionskosten, die direkt oder indirekt an Beteiligungsgesellschaften oder mit ihnen verbundene Unternehmen fließen, offengelegt werden müssen;
  • f. dass die Dividenden, Gebühren und sonstigen Zahlungen, die Finanzinvestoren von Pflegeunternehmen erhalten, transparent zu machen sind;
  • g. dass Private-Equity-Firmen und andere Finanzinvestoren für eine bestimmte Zeit nach ihrem Ausstieg für mögliche Insolvenzen haften, und zwar bis zur Höhe aller Dividenden und Gebühren, die sie von den betreffenden Unternehmen erhalten haben;
  • h. dass ein gemeinsames Monitoringsystem von Bund und Ländern geschaffen wird, um die Entwicklung des Pflegesektors und insbesondere die Entwicklung der dortigen Eigentümerstrukturen sowie deren Einfluss auf die die Qualität auf die Pflege zu verfolgen;
  • i. dass eine auf EU-Ebene geltende zentrale Überwachung und Kontrolle des Pflegesektors, welche zum einen besonders auf die finanzielle Entwicklung der Pflegeanbieter abzielt und zum anderen die Praktiken von Private-Equity-Gesellschaften wirkungsvoll reguliert, er-arbeitet wird;

3. die folgenden Punkte auf Bundesebene prüfen zu lassen:

  • a. die Einführung einer Renditenbegrenzung bzw. eines Renditedeckels im Pflegebereich für Private-Equity-Gesellschaften;
  • b. die Einführung von Vorschriften im Gesellschaftsrecht, die für Unternehmen im Bereich Pflege und Gesundheit die Qualität der Pflege als Unternehmensziel einfügen und entsprechende Maßnahmen (z.B. Entsendung von Personen mit Kompetenz in der Pflege in Vorstand und Aufsichtsrat; Transparenzvorschriften und Berichtspflichten) vorschreiben;
  • c. ein sorgfältiges Prüfsystem, welche Träger die Dienstleistungen für die Pflegeheime erbringen dürfen. Dabei kann das „Preston-Modell der öf-fentlichen Auftragsvergabe“ in die Prüfung als good-practice-Beispiel herangezogen werden;
  • d. die Aufhebung der gesetzlichen Vorrangregelung für private Pflegeeinrichtungen nach § 11 SGB XI und einer damit verbundenen Stärkung von kommunalen Pflegeeinrichtungen;
  • e. eine auf EU-Ebene geltende Regulierung der Beteiligung von Private-Equity von maximal 49 Prozent an Unternehmen im Bereich Pflege und Gesundheit;

4. eine Übersicht über die Eigentümerverhältnisse der im Land Bremen tätigen Pflegeeinrichtungen zu erstellen und der Bürgerschaft (Landtag) innerhalb von sechs Monaten entsprechend zu berichten.

Birgitt Pfeiffer, Arno Gottschalk, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Cindi Tuncel, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE
Ilona Osterkamp-Weber, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN