Kinder und Jugendliche auf allen Ebenen schützen!

Kinder und Jugendliche brauchen für eine gesunde Entwicklung ein schützendes Umfeld. Leider verfügen nicht alle Kinder und Jugendliche über ein solches Umfeld. Einige sind betroffen von physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt, Misshandlung bis hin zu schwerstem oder organisiertem Missbrauch. Nicht nur die Familien versagen in diesen Fällen oder gehören gar zu den Täter*innen, auch das staatliche Wächteramt wird in einigen Fällen nicht seiner Aufgabe gerecht. Kinder und Jugendliche gehören zu den vulnerabelsten Gruppen, die durch ihre Abhängigkeit, durch Einschücht-rung, Unterdrückung, Beeinflussung, durch Unglauben oder Schweigen des Umfeldes und durch die altersbedingte Unfähigkeit, sich an staatliche Stellen zu wenden, Gewaltsituationen oft schutzlos ausgeliefert sind.

Die Dimension von sexualisierter Gewalt ist weiterhin sehr groß. Die zuletzt bundesweit bekannt gewordenen Taten machen wütend und fassungslos. Alle staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen stehen in der Verantwortung, ihr Möglichstes zu tun, um solche schrecklichen und schweren Missbrauchsfälle im Vorfeld zu verhindern und ihnen prophylaktisch entgegenzuwirken oder, wenn sie bereits geschehen sind, schnell zu erkennen, wirksam zu unterbinden, die Opfer sofort effektiv vor einer Wiederholung zu schützen und die Täter*innen strafrechtlich zu belangen. Der wichtigste Punkt dabei ist, Aufklärungsarbeit zu leisten, das Wohl der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen, ihr Recht auf Teilhabe und ihr Wissen über ihre eigenen Rechte von klein auf zu stärken. Dafür ist es wichtig, Verbesserungen im Bereich der Prävention und Intervention vorzunehmen. Hierzu gehören Schutzkonzepte in allen Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, ein bedarfsgerecht ausgestattetes Jugendamt, funktionsfähige sozialräumliche Netzwerke, eine kindgerechte Justiz und Polizei sowie die Stärkung der Kinderrechte, der Lobby für Kinder und Jugendliche sowie der öffentlichen Sensibilisierung gegen sexualisierte, physische und psychische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Ebenfalls entscheidend ist eine reibungslose Kommunikation zwischen den Behörden und Fachberatungsstellen. Es ist unerlässlich, dass diese barrierefrei für alle Kinder, Jugendlichen und Rat suchende Personen erreichbar sind. Es gilt die bestehenden Strukturen weiterhin zu stärken.

Aus der Arbeit der Fachstellen haben wir gelernt: Sexuelle Übergriffe können überall passieren, wo Kinder sind, in Familien, in Schulen, in Jugendhilfeeinrichtungen und Sportvereinen. Sexualisierte Gewalt wird meistens geplant und vorbereitet verübt sowie oft über Jahre wiederholt. Wesentlicher Teil der Täterstrategie ist meist, zuerst ein enges Vertrauensverhältnis zu dem Heranwachsenden aufzubauen. Abhängigkeit und Vertrauen werden dann für sexualisierte Übergriffe ausgenutzt.

Gerade daher ist die Arbeit der professionellen Beratungsstellen so wichtig: Sie bieten den Opfern und ihren Angehörigen Schutz, eine unbürokratische Akutversorgung, Beratung, therapeutische und juristische Hilfe sowie eine klar parteiische Anlaufstelle, die mit der Situation die Betroffenen, durch langjährige Erfahrung vertraut ist. Die Beratungsstellen können die Taten nicht ungeschehen machen – aber sie können bei der Verarbeitung und Bewältigung helfen. Bleiben betroffene Kinder und Jugendliche der sexuellen Gewalt schutzlos ausgeliefert und werden ihnen nicht zeitnah angemessenen Hilfen angeboten, erhöht sich das Risiko von Folgeproblematiken: Posttraumatische Belastungsstörungen, Bindungs- und Angststörungen, Schulversa-gen, Suchtverhalten und aggressives Verhalten können Folgen sexueller Gewalterfahrungen im Kindes- und Jugendalter sein.

Bislang allerdings haben Kinder und Jugendliche keinen Rechtsanspruch auf eine Beratung im Falle eines Missbrauchs. Das Beratungsangebot ist nach dem Gesetz lediglich eine sogenannte „freiwillige Leistung der Jugendhilfe“, das heißt Länder und Kommunen sind bisher nicht verpflichtet, spezielle Beratungen zu finanzieren. Die Folge ist, dass die Beratungsstellen finanziell nicht ausreichend ausgestattet sind und am Limit mit den entsprechenden Auswirkungen auf eine bedarfsgerechte Versorgungslage arbeiten.

Im Land Bremen gibt es eine engagierte und gut vernetzte Beratungsstruktur, die durch einen bundesweit gültigen Rechtsanspruch auf Beratung seitens der Opfer weiter gestärkt werden könnte, um noch weit mehr Betroffene als bisher zu erreichen und ein flächendeckendes Beratungs- und Unterstützungsangebot vorzuhalten. Ihnen müssen flächendeckende Beratungsangebote gemacht werden, die der jeweils besonderen Dynamik – insbesondere bei sexuellem Missbrauch in Familien und Institutionen – Rechnung tragen.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:
Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,
1. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass
a) es im zu einer Änderung des Grundgesetzes kommt, die den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung für Kinder und Jugendliche ausdrücklich im Grundgesetz verankert, Kindern und Jugendlichen in ihrer Persönlichkeit achtet, ihr Recht auf Beteiligung in allen sie betreffenden Angelegenheiten entsprechend Alter und Reife verankert und das Kindeswohl und den Kindeswillen im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention wesentlich berücksichtigt;
b) im SGB VIII unabhängige und fachlich nicht weisungsgebundene Ombuds- oder Beschwerdestellen eingerichtet werden;
c) im Rahmen der SGB-VIII-Reform die Kooperationsverpflichtung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Kinderschutz nach § 81 SGB VIII analog auf weitere Bereiche (Schulen, Strafverfolgungsbehörden, Gericht) ausgeweitet wird;
d) im Rahmen der SGB-VIII-Reform ein Rechtsanspruch auf Beratung für von sexualisierter Gewalt betroffenen Kindern und Jugendliche rechtlich verankert und eine gesetzliche Leistung wird;
2. eine ressortübergreifende Fachanhörung mit den relevanten Akteur*innen, Einrichtungen und Institutionen durchzuführen, um dabei insbesondere die bestehenden Kooperationen im Kinderschutz zu fokussieren und ggf. bestehende weitere Handlungsbedarfe zu identifizieren;
3. sicherzustellen, dass Früherkennungs- und Schutzkonzepte in allen Einrichtungen und Vereinen, in denen Kinder und Jugendliche sich aufhalten oder aktiv sind, entwickelt bzw. weiterentwickelt werden; dabei sind die besonderen Bedarfe von Mädchen und Jungen, von queeren Kindern und Jugendlichen, von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen sowie von Kindern und Jugendlichen mit Flucht- oder Diskriminierungserfahrung zu berücksichtigen;
4. die Kinderschutzeinrichtungen in Bremen und Bremerhaven weiterhin zu fördern, auskömmlich auszustatten und ihre transkulturelle, personelle sowie digitale Ausstattung zu unterstützen;
5. bei den Ermittlungsbehörden die technische Ausstattung zu verbessern, insbesondere durch den Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Vorfilterung von Beweismaterial, und unterstützende Angebote wie Supervision auszubauen;
6. zu prüfen, ob an einzelnen Gerichtsstandorten im Land Bremen die Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche, in (auch räumlich) altersangemessener Weise ihre Erfahrungen und Sichtweisen zu schildern, noch weiter verbessert werden können;
7. die hohe Qualifikation von Familienrichter*innen durch attraktive und interdisziplinäre Fortbildungen weiterhin sicherzustellen und kontinuierlich zu stärken;
8. zu prüfen, inwieweit eine externe wissenschaftliche Evaluation der bremischen Rechtspraxis, insbesondere zur Anwendung bestehender opferschützender Normen in Ermittlungs- und Strafverfahren, zu deren Auswirkung auf Betroffene sowie zur Verurteilungspraxis der Gerichte in Jugendschutzsachen, durch Mittel der bundesweiten Forschungsförderung unterstützt werden kann;
9. eine qualifizierte kindgerechte Versorgung der Betroffenen in den Traumaambulanzen für Kinder und Jugendliche sowie die stufenweise
Anpassung an den jeweiligen Vorgaben des neuen sozialen Entschädigungsrechts (SGB XIV) sicherzustellen;
10. im Dialog mit der Ärztekammer zu prüfen, wie Kinderschutz und das Erkennen von Missbrauchshandlungen bzw. Gewaltanwendungen noch stärker in die ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung (z. B. in den Bereichen Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin, Notfallmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Gynäkologie) integriert werden kann und ob eine verpflichtende Fortbildung geboten ist.

Petra Krümpfer, Eva Quante-Brandt, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Sahhanim Görgü-Philipp, Sülmez Dogan, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofia Leonidakis und Fraktion DIE LINKE