Lehrkräftemangel geht uns alle an – bundesweite Ausbildungsoffensive und Bildungsstaats-vertrag jetzt gemeinsam auf den Weg bringen!

Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE:

Schon seit Jahren gelingt es unseren beiden Städten kaum noch offene Lehrerstellen mit vollausgebildeten Lehrkräften zu besetzten. So waren zu Beginn des Schuljahres 2022/23 in der Stadtgemeinde Bremen 96 Lehrervollzeitstellen unbesetzt, in Bremerhaven lag dieser Wert bei 66. Gleichzeitig wurde Unterricht an Schulen der Stadtgemeinde Bremen im Gegenwert von 194 Vollzeitstellen durch Vertretungskräfte von „Stadtteilschule e. V.“ abgedeckt. Somit lag schon beim Start in das neue Schuljahr die durchschnittliche Unterrichtsversorgung im Land Bremen rechnerisch nur noch bei 96 Prozent (Drs. 20/1680).

Doch Bremen ist keineswegs als einziges Bundesland mit dieser komplexen Problemstellung konfrontiert. Seit Bekanntwerden der neuerlichen Ergebnisse des sogenannten Schulbarome-ters, welches im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung auf Grundlage einer repräsentativen Be-fragung von 1.055 Schulleitungen allgemein- und berufsbildender Schulen erstellt wurde, bekommt die Diskussion über fehlende Lehrkräfte endlich eine breitere gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung: Im Durchschnitt sehen zwei Drittel der befragten Schulleitungen im Personalmangel die größte Herausforderung für ihre Arbeit. An Haupt-, Real- und Gesamtschulen nennen sogar 73 Prozent und an Förderschulen 76 Prozent der Schulleitungen den Mangel an Lehrkräften und weiterem schulischen Personal als größtes Problem.

Unstrittig ist, dass zu Beginn des Schuljahres 2022/23 bundesweit wohl zehntausende Lehrerstellen unbesetzt waren und das es sich hierbei um ein strukturelles Problem handelt. Angesichts dessen sind die jüngsten Empfehlungen der ständigen wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz zur Bekämpfung des Lehrermangels aus Sicht der betroffenen Länder allenfalls unverbindlich und tragen somit nur wenig zur unmittelbaren Problemlösung bei.
Politisch richtige Entscheidungen, wie der Ganztagsschulausbau, die Verbreiterung der inklusiven Beschulung und Vorhaben zur gezielten Unterstützung von Schulen in sozial schwierigen Lagen (z. B. „Schule macht stark“ von Bund und Ländern) sorgen für zusätzliche Bedarfe an qualifizierten Lehrkräften. Hinzu kommt, dass aktuell nahezu alle Bundesländer mehr Lehrkräfte einstellen, als sie an ihren landeseigenen Hochschulen selbst ausbilden. Das sich hie-raus ergebene Defizit an Hochschulabsolventen im Lehramt beziffert die KMK auf bundesweit rund 18%.

Die Situation wird absehbar noch schwieriger werden, umso unbefriedigender sind daher die unsystematischen und höchst unterschiedlichen Antworten der einzelnen Bundesländer in dieser wichtigen Frage: Zuallererst wird auf Abwerbung von Lehrkräften gesetzt. So wurde beispielsweise erst kürzlich bekannt, dass Bayern mit monetären Anreizen und u. a. Umzugshilfen Lehrkräfte in den Freistaat locken will. Des Weiteren unterhalten die Länder unterschiedliche Seiten- und Quereinstiegsmodelle, die mit Verweis auf befürchtete Qualitätsabsenkung immer wieder Kritik auf sich ziehen. Auch Bremen muss neben den bereits angelaufenen Seiten- und Quereinstiegsmaßnahmen zwingend weitere Anstrengungen unternehmen und öffnet sich im Zuge dessen für Hochschulabsolventen, aus deren Abschluss nur ein Unterrichtsfach ableitbar ist und qualifiziert sie zu sogenannten Ein-Fach-Lehrkräften.

Es ist zu befürchten, dass im bereits seit längerem begonnenen und sich weiter verschärfenden zügellosen Wettbewerb um pädagogisches Fachpersonal finanzschwächere oder aus anderen Gründen für Lehrkräfte weniger attraktive Bundesländer unwiderruflich ins Hintertreffen geraten – mit allen Konsequenzen für Qualität, Güte und Vergleichbarkeit der dortigen Be-schulung. Ein solches Szenario widerspricht im Kern dem gemeinsamen Interesse an gleich-wertigen Lebensverhältnissen im gesamten Bundesgebiet.

Das Ausmaß des anhaltenden Lehrermangels macht es daher unbedingt erforderlich, dass alle beteiligten Akteure – der Bund wie die Länder – zur gemeinsamen Überwindung dieser Situation mobilisiert werden, zumal aktuell trotz der enormen Bedeutung sowie der Notwen-digkeit eines auskömmlichen Angebots an pädagogischen Fachkräften zwischen den Bundesländern keine abgestimmte Steuerung in Bezug auf die Bedarfs- sowie Kapazitätsplanung stattfindet.

Ein beachtenswerter Impuls zur institutionalisierten Bündelung sämtlicher hiermit in Verbindung stehender Anstrengungen kommt aus dem Bundesland Berlin, welches selbst schwer mit dem Lehrkräftemangel zu kämpfen hat: Die dortige Regierungskoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, einen bundesweiten Staatsvertrag zur bedarfsgerechten Lehrkräf-teausbildung anzustreben. Im Rahmen von Bund-Länderabkommen ist es gängige Praxis, dass der Bund und die Länder, bzw. die Länder untereinander, Staatsverträge und Verwal-tungsabkommen schließen. Den Staatsvertrag charakterisiert hierbei, dass die zu regelnde Materie unter Parlamentsvorbehalt steht, die Umsetzung des Vertragsinhalts folglich nur mittels eines formellen Gesetzes möglich ist.

Was für eine derartige Übereinkunft zwischen den Bundesländern sprechen würde, wie ein solcher Bildungsstaatsvertrag zur Lehrkräftesicherung im Detail aussehen könnte und wie diese Maßnahme mit einer „Ausbildungsoffensive Bildung“ kurzfristig zu flankieren wäre, hat der ehemalige Berliner Staatsekretär für Bildung, Mark Rackles, in einem vielbeachteten Aufsatz unter der Überschrift „Wege aus dem Lehrkräftemangel“ im Dezember 2022 publiziert. Dabei beschreibt er Eingangs nachfolgende Ausgangslage innerhalb eines föderalen Bil-dungssystems, das auf freiwilliger Selbstkoordination beruht und dadurch nicht zu bedarfsge-rechten Ergebnissen führt: „16 Länder steuern mit mindestens je zwei Ressorts (Bildungs- und Wissenschaftsministerium) 109 weitgehend autonome Universitäten, die 5.007 Studiengänge mit Lehramtsabschluss anbieten“ (Rackles 2022: 9). Der Regelungsinhalt eines Bildungs-staatsvertrags zur Lehrkräftesicherung sollte wenige grundsätzliche Festlegungen umfassen (gemeinsame Standards bei Prognostik und Modellrechnung, abgestimmte Kapazitätspla-nung, gegebenenfalls Länderausgleich bei den Ausbildungskosten) und eine flexible Konkre-tisierung durch Verwaltungsvereinbarungen ermöglichen (Rackles 2022: 14-15).

Klar ist, dass die Anbahnung, Ausverhandlung und anschließende Ratifizierung eines solchen Bildungsstaatsvertrags zur Lehrkräftesicherung ein aufwendiger und vor allem zeitintensiver Prozess sein wird. Dessen positive Wirkung wird sich daher erst mittelfristig entfalten können. Da sich der Rückgang von Lehramtsstudierenden aber bereits akut in den großen Bundesländern Bayern und Nordrhein-Westfalen abzeichnet und die Situation sich dadurch bundesweit weiter verschlechtern würde, gilt es, in einer länderübergreifend abgestimmten Aktion unverzüglich alle vorhandenen Kräfte für eine deutschlandweite Kampagne einer Ausbildungsoffensive für Lehrberufe zu mobilisieren. Ziel ist es hierbei, die Zahl der Studienanfänger der Lehrämter in allen Bundesländern zu steigern. Als Beispiel könnte hierfür die bereits angelaufene „Ausbildungsoffensive Pflege“ von Bund und Ländern dienen.

Für das Land Bremen wäre eine derartig formal unter den Bundesländern vereinbarte und klar strukturierte Kooperation zur Lehrkräftebildung sowie die Beteiligung an einer bundesweitko-ordinierten „Ausbildungsoffensive Bildung“ in jedem Fall erstrebenswert, da auch für die Zukunft angenommen werden muss, dass Bremen im aktuell schrankenlosen Wettbewerb um Fachkräfte auch zukünftig nicht obsiegen wird. Aus Sicht der CDU-Bürgerschaftsfraktion gilt es in dieser bedeutenden Frage daher darum, dass die Bremische Bürgerschaft den Senat bzw. sein zuständiges Mitglied unverzüglich mit einem klaren Auftrag sowie entsprechendem Verhandlungsmandat in die Konferenz der Kultusminister (KMK) entsendet.

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:
Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,

1. sich im Kreise der Konferenz der Kultusminister (KMK) gemeinsam mit anderen Bundesländern, wie etwa Berlin, aktiv und offensiv für die Ausgestaltung sowie den Abschluss eines Staatsvertrags zur Deckung des Lehrkräftebedarfs einzusetzen. Die Länder kommen hiermit ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung nach, da dieser Schritt das Ziel verfolgt, die Unterrichtsqualität und Unterrichtsversorgung bundesweit gleichermaßen zu sichern. Zentrale Regelungsgegenstände eines solchen Staatsvertrages sind eine unter den unterzeich-nenden Ländern koordinierte und in sich konsistente Strategie zur Bereitstellung
a. der erforderlichen Plätze innerhalb der Lehramtsstudiengänge;
b. der notwendigen Kapazitäten im Vorbereitungsdienst.
Ferner soll ein derartiger Staatsvertrag nach Möglichkeit Festlegungen treffen in Bezug auf
c. gemeinsame Standards bei Bildungs- und Hochschulstatistik sowie darauf aufbauende Prognostik und Modellrechnung;
d. einen Länderausgleich bei den Ausbildungskosten.
2. im Kreise der Konferenz der Kultusminister (KMK) in Abstimmung mit der Ebene des Bundes für die inhaltliche sowie administrative Ausgestaltung und kurzfristige Initiierung einer deutschlandweiten Kampagne im Rahmen einer Ausbildungsoffensive für Lehrberufe zu werben, die das Ziel verfolgt, die Zahl der Studienanfänger der Lehrämter in allen Bundesländern gleichermaßen zu steigern.
3. der Bremischen Bürgerschaft mindestens halbjährlich über den Fortgang des Ausgestaltungs- und Ratifizierungsprozesses des skizzierten Bildungsstaatsvertrags zu berichten.

Yvonne Averwerser, Heiko Strohmann und Fraktion der CDU
Gönül Bredehorst, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Christopher Hupe, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Miriam Strunge, Nelson Janßen, Sofia Leonidakis und Fraktion DIE LINKE