Kosten, Marktpotenziale, Finanzierung und Planfeststellung des Offshore Terminal Bremerhaven (OTB)

Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE:

Für den geplanten Bau des Offshore-Terminals Bremerhaven (OTB), der aktuell mit rund 180 Millionen Euro veranschlagt wird, bedeutet die Ansiedlung von Siemens in Cuxhaven einen Einschnitt. Alle bisherigen Wirtschaftlichkeitsprognosen zum OTB gingen explizit davon aus, dass der Marktraum ‚deutsche Nordsee‘ von Bremerhaven aus abgedeckt werden würde. Cuxhaven als konkurrierender Standort mit Schwerlastterminal in unmittelbarer Nähe Bremerhavens wurde in den Marktpotentialprognosen unterschätzt: In einem Gutachten, dass der Senator für Häfen im August 2015 vorlegte, war gar die Rede davon, dass Cuxhaven im Vergleich zu Bremerhaven „weniger Chancen“ auf die Ansiedlung von Unternehmen der Turbinenproduktion habe (Planco-Consulting, S. 45), und deshalb nicht „zu erwarten [sei], dass die neuen Basishäfen [hier ist u.a. Cuxhaven gemeint] weitere Turbinenhersteller ansiedeln können“ (ebd. S. 15). Nur wenige Tage später verkündete Siemens als Weltmarktführer im Offshore-Markt, eine Fabrik für Windkraftturbinen in Cuxhaven zu errichten. Die Aussagen in den beiden vorgelegten Gutachten (Planco und Prognos) müssen deshalb überprüft werden.

Zusätzlich zu den nicht mehr haltbaren Annahmen über die Umschlagskapazitäten steht auch die Finanzierung des OTB in Zweifel. Einerseits sollen alle Senatsressorts ihre jeweiligen Investitionsmittel reduzieren, um gemeinsam den OTB zu finanzieren. Andererseits sollen Bremische Unternehmen – insbesondere die BLG und die Landesbank – über erhöhte Gewinnabführungen in Höhe von 10 Millionen Euro jährlich an den Baukosten beteiligt werden. Ob diese zusätzlichen Gewinne auch nur in annähernder Höhe vorhanden sein werden, ist angesichts der Entwicklungen auf dem Weltmarkt keineswegs sicher, zumal die BLG auch über den in den ersten Jahren absehbar defizitären Betrieb des Terminals Verluste einkalkulieren muss. Im Jahr 2015 mussten BLG und Landesbank nach Aussage des Finanzressorts ihre Gewinnabführungen an den Landeshaushalt um rund 15 Millionen Euro reduzieren.
Erfahrungsgemäß ist auch davon auszugehen, dass die 2010 mit 180 Millionen Euro veranschlagten Projektkosten überschritten werden. Weitere Risiken bestehen in Klagen gegen die Planfeststellung, die u.a. vom BUND aktuell geprüft wird.

Bevor das Planfeststellungsverfahren für den Bau des Terminals abgeschlossen werden kann, müssten deshalb die wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Annahmen an die Realität angepasst werden. Zudem müssen die europäische Rechtsprechung zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie und ökologische Bedenken bei der Planfeststellung beachtet werden.

Wir fragen den Senat:
I. Prognostizierte Kosten des OTB
1. Wann wurden die bisher prognostizierten Kosten für die Flächenherrichtung (33 €/m²), für die Erschließung (203 €/m²) und für die Kompensationsflächen (10 Mio. Euro) zuletzt überprüft bzw. aktualisiert? Mit welchem Ergebnis?
2. Welche Daten, Analysen und gutachterlichen Berechnungen liegen für diese einzelnen Kostenfaktoren vor und welche Risiken in Bezug auf Mehrkosten für das Gesamtprojekt ergeben sich jeweils daraus?
3. Welche Kosten entstehen für die Hinterlandanbindung des OTB, und durch wen werden sie getragen (z.B. Straßen, Bahnstrecken, Trassen und Leitungen)?
4. Lassen sich die in den Gutachten bereits angedeuteten Kostensteigerungen genauer beziffern? Wie hoch sind die voraussichtlichen Gesamtkosten des Projektes (Bau, Infrastruktur, Ausgleichsmaßnahmen)?
II. Prognostizierte Marktanteile des OTB und die Ansiedlung von Siemens in Cuxhaven
5. Über welche Kapazität wird das Siemens-Werk in Cuxhaven nach Kenntnis des Senats verfügen?
6. Welche Auswirkungen hat die Ansiedlung von Siemens in unmittelbarer Nähe zu Bremerhaven auf die in den Gutachten zugrunde gelegten Umschlagsszenarien innerhalb der 200- und 300-Seemeilen-Einzugsbereiche des OTB und die Annahme, dass sich der OTB, das dänische Esbjerg und das britische Hull den Marktraum Nordsee im Wesentlichen teilen werden (Prognos, S. 23)?
7. Welche Auswirkungen hat die Ansiedlung des Siemens-Konzerns in Cuxhaven für die prognostizierten „Lagevorteile zum Marktraum östlich des Standortes“ (Planco, S. 37) des OTB angesichts der geografischen Tatsache, dass Cuxhaven wiederum östlich von Bremerhaven und direkt am Nord-Ostsee-Kanal liegt?
8. Wie bewertet der Senat die gutachterliche Aussage, dass Cuxhaven im Vergleich zu Bremerhaven erhebliche Wettbewerbsnachteile hätte, die eine Ansiedlung von Turbinenproduzenten in Cuxhaven unwahrscheinlich erscheinen lassen (Planco, S. 15 und S. 45) und welche Schlussfolgerungen zieht der Senat hinsichtlich der Belastbarkeit solcher Bewertungen angesichts der Siemens-Ansiedlung in Cuxhaven?
9. Welchen Marktanteil haben die in Bremerhaven angesiedelten Firmen zwischen 2007 und 2015 bei der Produktion von Offshore-Windkraftanlagen gehabt (Anzahl der hergestellten und ausgelieferten Gondeln in Bezug auf die installierten Anlagen in den Markträumen ‚deutsche Nordsee‘ und Europa),
und welche Marktposition nimmt der Standort Bremerhaven damit im Vergleich zu den konkurrierenden Unternehmen ein?
10.Wie bewertet der Senat die gutachterliche Annahme, dass sich der Marktanteil der in Bremerhaven angesiedelten Firmen im Marktraum deutsche Nordsee (zu Lasten anderer Hersteller) von 10 bis 26 Prozent auf bis zu 50 Prozent im Zeitraum 2023 bis 2025 erhöhen würde (Planco, S. 37)?
11.Auf welcher Grundlage geht der Senat davon aus, dass der Hauptkonkurrent des Standorts Bremerhaven – nach jetzigem Stand Siemens – seinen Marktanteil nicht stabil halten oder gar ausbauen kann und so der prognostizierten Erhöhung des Bremerhavener Marktanteils auf 50 Prozent auch nicht entgegenstehen würde?
12.Welche Windanlagenproduzenten kämen nach Ansicht des Senats zukünftig überhaupt in Frage, den OTB zu nutzen? Welcher Stellenwert wird dabei den Windanlagenproduzenten Areva-Adwen und Senvion zukommen?
13.Hat der Senat aus den bisherigen enttäuschenden Erfahrungen beim Bau und Betrieb des Jade-Weser-Ports Schlüsse für die OTB-Planung gezogen, und wenn ja, welche?
III. Geplante Finanzierung des OTB (vgl.: Deputationsvorlage 18/257 des Senators für Wirtschaft, Arbeit und Häfen vom 29. November 2012)
14.Sind die vorgesehenen 75,2 Millionen Euro aus dem Sondervermögen Hafen zur Finanzierung des OTB gesichert, die sich aus Mehreinnahmen und Einsparungen bei hafenbezogenen Projekten ergeben sollten (u.a. geringere Kompensationsverpflichtungen bei CT IV, Einnahmenüberhänge aus Vorjahren, Reduzierung der Planung für die Vertiefung der Wendestelle im Rahmen der Weservertiefung, Zinseinsparungen)?
15.Welche Bremischen Beteiligungen sollen in welchem Umfang die zusätzlichen 10 Millionen Euro Gewinnabführung jährlich über fünf Jahre erwirtschaften?
16.Sind die veranschlagten zusätzlichen 10 Millionen Euro Gewinnabführung der Bremer Beteiligungen in den mittelfristigen Wirtschaftsplänen der Unternehmen bereits berücksichtigt? Werden diese Beteiligungen nach aktuellem Kenntnisstand des Senats in der Lage sein, die zusätzlichen Abführungen von insgesamt 50 Millionen über fünf Jahre zur Finanzierung des OTB zu tätigen? Welche Auswirkungen haben die in 2015 erwarteten verringerten Gewinnabführungen der BLG und Landesbank in Höhe von rund 15 Millionen Euro (Controllingbericht Produktgruppenhaushalt Januar-Juni 2015) auf die geplante Finanzierung?
17.Welche konkreten Einsparungen in welchen Projekten sollen die Minderausgaben bei investiven Mitteln in den Produktplänen ‚71 Wirtschaft‘ und ‚81 Häfen‘ in Höhe von insgesamt 29,6 Millionen erbringen?
18.Ist die Bereitstellung von weiteren 21,9 Millionen Euro aus den Haushalten der übrigen Ressorts ab 2014 realisiert worden und in der mittelfristigen Finanzplanung für die Folgejahre abgesichert? (Bitte nach Ressorthaushalt aufschlüsseln.)
19.Welche Folgen haben die Verzögerungen bei der Planung für die veranschlagten Einnahmen durch den Betrieb des OTB von jährlich 3,9 Millionen Euro ab 2017?
20.Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat aus dem Jahresbericht des Landesrechnungshofs 2013 für die Finanzierung des Baus, in dem festgehalten wird: „Der Bau des OTB wird den Bremischen Haushalt nicht lediglich fünf Jahre, sondern längerfristig belasten.“?
21.Bis wann werden sich die Gesamtkosten für den OTB durch Einnahmen voraussichtlich amortisiert haben?
IV. Wasserrahmenrichtlinie, Umweltauflagen und Flächennutzung im Planfeststellungsverfahren
22.Wird der Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs zur Europäischen Wasserrahmenrichtlinie in Bezug auf das Verschlechterungsverbot und die Verbesserungspflicht der Wasserqualität und Gewässerstruktur von Oberflächenwasserkörpern bei den planungsrechtlichen Vorbereitungen für den Bau des OTB bereits berücksichtigt?
23.Begründet sich das ‚überwiegende öffentliche Interesse‘ am Bau des OTB durch die Notwendigkeit der Offshore-Windkraft für die Energiewende?
24.Soll im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens eine Nutzung für Schwerlastgüter außerhalb der Offshore-Industrie ermöglicht werden? Hätte eine anderweitige Nutzung Auswirkungen auf die prognostizierten Einnahmen aus der Pacht, die am OTB im Vergleich zu den übrigen Hafenanlagen in etwa doppelt so hoch liegen soll? Wenn ja: welche?
25.Hat der Senat alternative Nutzungspläne für den OTB für den Fall, dass die prognostizierte Auslastung nicht erreicht wird, und wenn ja: welche?
V. Regionales Offshore-Gesamtkonzept und verstärkte Kooperation
26.Wie bewertet der Senat die in der Öffentlichkeit genannten Vorschläge, anstelle des OTB ein regionales Offshorewind-Gesamtkonzept im Weser-Elbe-Raum zu fördern, unter Einbeziehung des Siemens-Standortes in Cuxhaven? Inwieweit spielen solche Konzepte eine Rolle bei der derzeit vom Senat angestrebten stärkeren Kooperation zwischen Bremen und Niedersachsen?

Nelson Janßen, Klaus-Rainer Rupp, Cindi Tuncel, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE.