Informationsfreiheit von Patientinnen wahren – § 219a StGB streichen

Dringlichkeitsantrag der Fraktionen Bündnis 90/DIE GRÜNEN, der SPD, DIE LINKE und der FDP:

Am 24. November 2017 wurde eine Allgemeinmedizinerin vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie gegen das Verbot der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a StGB verstoßen habe. Als Beweis diente ihre Webseite, auf der sie unter anderem auch die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen aufführte. Gegen zwei weitere Gynäkologinnen ist kürzlich ein Ermittlungsverfahren aus demselben Grund eröffnet worden.

Nach 219a StGB macht sich strafbar, wer öffentlich die „Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs […] anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt.“ Den Ärztinnen drohen Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen.

Abtreibungsgegnerinnen und -gegner, die sich selbst gern als „Lebensschützer“ bezeichnen, missbrauchen diese Strafnorm, um Ärztinnen und Ärzte durch Anzeigenerstattung einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Staatsanwaltschaften erheben daraufhin Strafbefehle und/ oder Anklagen. Auf diese Weise werden über den Umweg des § 219a StGB Abtreibungen be- oder verhindert, die nach § 218 zwar nicht legal, aber nach Beratung gemäß § 218a straffrei gesetzt sind. Das Bundesverfassungsgericht kritisierte schon 2006 diese widersprüchliche Gesetzeslage: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“ (Beschluss vom 24. Mai 2006, Az. 1 BvR 1060/02).

Mit Strafverfahren nach §219a Strafgesetzbuch wird missachtet, dass Patientinnen und Patienten einen Anspruch auf Informationen über das Leistungsspektrum von Ärztinnen und Ärzten haben, damit sie darauf gegründet von ihrem Recht auf freie Wahl der Ärztin oder des Arztes nach § 76 SGB V überhaupt sinnvoll Gebrauch machen können. Schwangere benötigen in Notsituationen uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Beratung und einer Auswahl an Ärztinnen und Ärzten, die sie dabei qualifiziert unterstützen können. Informationen über die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs sind dafür eine notwendige Voraussetzung. Nur so können hilfesuchende Frauen letztlich selbstbestimmt entscheiden.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, sich schnellstmöglich auf Bundesebene für die Streichung des § 219a StGB einzusetzen bzw. die Aufhebung des §219a im Bundesrat selbst zu beantragen.

Dr. Henrike Müller, Nima Pirooznia, Sülmez Dogan, Dr. Maike Schaefer und Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Stephanie Dehne, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD
Claudia Bernhard, Klaus-Rainer Rupp, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE
Peter Zenner, Dr. Magnus Buhlert, Lencke Steiner und Fraktion der FDP