Medizin und gesundheitliche Vorsorge verbessern – Forschungsdefizite zu Frauen und weiblichen Körpern aufholen

Ca. 1,80 m groß, ca. 75 kg schwer, männlich. Das sind die statistischen Eckdaten der Durchschnittsperson in Deutschland, auf Basis derer medizinische Forschung vorrangig betrieben wird. Ob Medikamentenwirkung, Erkennung von Herzinfarktsymptomen oder Vorsorge bei Stoffwechselerkrankungen: Der Fokus liegt auf dem männlichen Körper. Dabei werden Besonderheiten für Frauen und darüber hinaus auch für trans- und intergeschlechtliche Personen, die z. B. einen Uterus haben, vielfach übersehen oder missachtet, was teils gravierende Folgen hat. Fehldiagnosen, falsche Medikation und vermeidbare Todesfälle bei den Betroffenen sind die Folge. Während sich die Gesundheitsversorgung und die Vorsorge in Deutsch-land insgesamt immer weiter bessert, bleiben weibliche Körper in der Medizin, Pharmazie und Wissenschaft unterforscht. Das lässt sich ändern und muss geändert werden.

Ein Grund für den Missstand ist eine Datenlücke, ein sogenannter Data Gap: Aus verzerrten Datensätzen, die eigentlich vorrangig den männlichen Körper beschreiben, folgen vermeintlich neutrale, faktisch aber verzerrte und diskriminierende Ergebnisse, die wiederum Vorsorge, Früherkennung und Symptombilder in der gesamten Gesundheitsversorgung prägen. Das betrifft teilweise auch Statistiken über Autounfälle und Bewegungsverhalten der Körper, denn erst seit 2023 gibt es beispielsweise weibliche Crashtestdummys in Autos – bislang enden Autounfälle für Frauen 17 Prozent häufiger tödlich. Aber auch ganz klassische Diagnostik ist betroffen von der Daten- und Aufmerksamkeitslücke: Bei Frauen und betroffenen queeren Menschen sind in vielen Krankheitsbildern die Symptome andere als bei Männern und außerdem weniger bekannt, was zu Behandlungsfehlern und langen Leidenswegen von Patientinnen führt. Auch Medikamente haben eine andere Wirkung oder müssen anders dosiert werden. Durch geschlechter- und gendersensible Medizin und die Förderung von Forschung, die explizit Frauen sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen in den Blick nimmt, kann das existierende Missverhältnis angegangen werden.

Besonderer Handlungsbedarf gilt dabei auch Krankheitsbildern, die nur Frauen sowie potenziell trans- und intergeschlechtliche Personen betreffen. Sie sind durchweg signifikant unterforscht. So ist beispielsweise Endometriose eine gynäkologische Erkrankung, deren Ursache bislang wissenschaftlich nicht geklärt ist und die bei 10 bis 15 Prozent aller Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter auftritt. Die Beschwerden gehen für die betroffenen Frauen und Mädchen mit erheblichen Einschränkungen im privaten und beruflichen Alltag sowie einer Beeinträchtigung der Lebensqualität einher. Trotz der hohen Zahl an Betroffenen, des chronischen Krankheitsverlaufs, der Schmerzsymptomatik und Problemen im Hinblick auf die Möglichkeit, schwanger zu werden, sind oft weder Ärzt:innen noch Patient:innen ausreichend über Endometriose aufgeklärt.

Um die Ursachenforschung für Endometriose und andere Krankheitsbilder, die vor allem oder ausschließlich Frauen und Menschen mit Uterus betreffen, voranzubringen, braucht es Finanzierung der Forschung, Bewusstseinsschärfung in der Gesellschaft sowie in der Ausbildung von Mediziner:innen und eine gesundheitliche Vorsorgearbeit die geschlechter- und gendersensibel ausgerichtet ist.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:
Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,
1. sich auf Bundesebene für die Verstetigung und Ausweitung von Bundessubventionen für Forschungsprojekte und insbesondere interdisziplinäre Verbünde zur Erforschung von Pathomechanismen der Endometriose einzusetzen;
2. sich für ein bundesweites Programm zur Aufklärung über Menstruationsbeschwerden und Endometriose einzusetzen und sich an diesem zu beteiligen;
3. eine Auflistung zu erstellen, inwiefern bereits geschlechter- und gendersensible Forschung im Gesundheitswesen an Universitäten und Hochschulen im Land Bremen gefördert wird und zu prüfen welche weiteren Fördermöglichkeiten darüber hinaus etabliert werden können, um Forschung rund um Frauengesundheit zu fördern;
4. in Forschungsförderprogrammen gezielt Grundlagenforschung zur Möglichkeit der Repräsentation von allen Geschlechtern in Daten und datengetriebenen Anwendungen zu fördern;
5. die bei den Behörden in seinem Zuständigkeitsbereich bestehenden Datensätze zu Gesundheit auf einen geschlechts- und genderspezifischen Bias hin zu prüfen und diesen durch die Erhebung zusätzlicher Daten zu korrigieren, wenn dies möglich ist;
6. zu prüfen, inwieweit das Thema geschlechts- und gendersensible Gesundheit und insbesondere Endometriose auch Gegenstand von Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte sein kann;
7. gemeinsam mit der Ärztekammer Bremen zu prüfen, inwieweit das Thema Endometriose – entsprechend dem aktuellen Stand der Forschung – in Fort- und Weiterbildung für Ärzt:innen sowie weiteres medizinisches Fachpersonal angeboten wird und dieses Angebot gegebenenfalls (weiter) zu entwickeln;
8. zu prüfen, inwieweit geschlechtersensible Medizin und gesundheitliche Vorsorge in der medizinischen Aus-, Fort- und Weiterbildung für Ärzt:innen und für weiteres Fachpersonal im Gesundheitswesen beinhaltet sind, und sich ggf. dafür einzusetzen, dass diese künftig berücksichtigt werden;
9. der staatlichen Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz binnen sechs Monaten nach Beschlussfassung über die Umsetzung zu berichten.

Ute Reimers-Bruns, Selin Arpaz, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Maja Tegeler, Nelson Janßen, Sofia Leonidakis und Fraktion DIE LINKE
Ralph Saxe, Kai Wargalla, Dr. Henrike Müller und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN