Teilhabe sichern, Beteiligung fördern: Bremen braucht eine zeitgemäße Jugendbeteiligung im Stadtteil und eine übergreifende Kinder- und Jugendbeteiligungsstrategie
Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und DIE LINKE: Die gesellschaftliche und politische Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, zu fördern und auszubauen fordert nicht nur die UN-Kinderrechtskonvention, sondern ist auch politischer Wille der Bremischen Bürgerschaft. Sie hat im Mai 2021 die Aufnahme der Beteili-gungsrechte für Kinder und Jugendliche in der Bremer Landesverfassung beschlossen. Damit ist die Vision von einer kinder- und jugendgerechten Gesellschaft beschrieben. Einher geht die Erwartung, dass die Beteiligungsmöglichkeiten und -strukturen im Konkreten weiter gestärkt werden. Das Land Bremen braucht deshalb eine kinder- und jugendpolitische Strategie, mit der die Interessen und Bedürfnisse junger Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden.
Damit ist die Vision von einer kinder- und jugendgerechten Gesellschaft beschrieben. Einher geht die Erwartung, dass die Beteiligungsmöglichkeiten und -strukturen im Konkreten weiter gestärkt werden. Das Land Bremen braucht deshalb eine kinder- und jugendpolitische Strategie, mit der die Interessen und Bedürfnisse junger Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden. Es gilt Formen der direkten und stellvertretenden Interessenvertretung auszuloten und weiterzuentwickeln und gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen sowie den Fachakteur*innen der Kinder- und Jugendarbeit die konkrete Ausgestaltung von Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu beraten und umzusetzen. Wo sich nur wenige Jugendliche für politische Ämter interessieren, ist ein politisches Jugendgremium alleine vielleicht nicht zielführend – ein Modellprojekt kann ausloten, welche Formen der Beteiligung für junge Menschen attraktiv sind. Und zwar dann, wenn dieses Modellprojekt in direkter Zusammenarbeit und unter direkter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entwickelt und durchgeführt wird.
Dabei starten wir keineswegs bei Null: Schon heute kennt die Jugendbeteiligung im Land Bremen unterschiedlichste Formate und ist vielfach gelebte Praxis, ob in Schulen und Kitas, in Jugendverbänden, in Jugendbeiräten und -foren, in Jugendparlamenten, in der Beteiligung in den Regelangeboten oder in projektbezogenen Beteiligungen, z.B. bei Spielflächengestaltungen, sowie zukünftig in der Selbstvertretung von jungen Menschen, die außerhalb ihrer eigenen Familien untergebracht sind und im Bereich der Care Leaver (siehe dazu die Antwort des Senats auf die Große Anfrage Drs. 20/1537 vom 18. Juli 2022). Davon ausgehend gilt es zu prüfen, wie Kinder und Jugendliche noch systematischer auf allen gesellschaftlichen Ebenen als Vertreter*innen ihrer eigenen Interessen eingebunden und mit welchen – auch digitalen – Formaten möglichst viele erreicht und motiviert werden können.
Im Land Bremen liegt ein großes Potential zur Stärkung der Jugendbeteiligung im weiteren Ausbau und der konsequenten Anwendung von digitalen Beteiligungsformaten über die Plattform itslearning. Für die Beteiligung junger Menschen stellt itslearning ein passendes Tool dar, da es allen Schüler*innen im Land Bremen über ihr Tablet zur Verfügung steht und sie mit der Nutzung vertraut sind. Zahlreiche demokratiepädagogische Projekte, die wohnortnahe und quartiersbezogene Themen fokussieren, wurden mit itslearning bereits erfolgreich durchgeführt. Nun gilt es, diese digitale Form der Jugendbeteiligung flächendeckend im Land Bremen aufzubauen. In der Stadtgemeinde Bremen bietet sich zur Erprobung ein vergleichendes Modellprojekt in den kinder- und jugendstarken Stadtteilen Blumenthal, Huchting und Walle an, Stadtteile, in denen die Jugendbeteiligung bisher unterschiedlich stark institutionalisiert ist und die sich in ihrer sozialen und städtebaulichen Entwicklung voneinander unterscheiden. Das Ziel soll sein, möglichst viele junge Menschen dauerhaft für stadtteilbezogene Fragen und Projekte zu interessieren und an Entscheidungen, die ihr unmittelbares Lebensumfeld betref-fen, angemessen zu beteiligen.
Parallel dazu muss der Prozess zur Entwicklung der übergreifenden Kinder- und Jugendbeteiligungsstrategie eingeleitet werden. Ziel der Beteiligungsstrategie soll die Verankerung der Idee von Mitwirkung und Teilhabe in der gesellschaftlichen Breite sein. Sie muss auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung berücksichtigen und auch diejenigen im Blick behalten, die als minderjährig Geflüchtete zu unserer Gemeinschaft gehören oder die in Einrichtungen der Jugendhilfe aufwachsen. Das Deutsche Kinderhilfswerk unterscheidet sechs Typen der Beteiligung: Beteiligung von Jugendverbänden bspw. durch die Jugendringe; repräsentative Formen wie Kinder- und Jugendparlamente oder Schüler*innenvertretungen; offene Formen wie Kinderstadtteilversammlungen, Kindersprechstunden und Kindergemeinderatssitzungen und Jugendforen; projektbezogene Formen wie Zukunftswerkstätten und aktivierende Befragungen in konkreten Planungs- und Entscheidungsprozessen; Beauftragungsmodelle, bei denen Erwachsene bei Verwaltungen oder politischen Entscheidungsgremien für die Interessen von Kindern und Jugendlichen eintreten und schließlich die Beteiligung an Institutionen der Erwachsenenwelt durch Teilhabe an Zusammenkünften, Ausschüssen und Gremien der Erwachsenen. Diese Beteiligungsformen beschreiben die Leitplanken, entlang derer eine systematisch-inklusive Beteiligungsstrategie für das Land Bremen entwickelt werden muss.
Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:
Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, die Kinder- und Jugendbeteiligung im Stadtteil mittels digitaler Beteiligungsformate zu stärken und eine übergreifende Kinder- und Jugendbeteiligungsstrategie für das Land Bremen zu erstellen.
Hierfür soll der Senat zum einen
1. in den Stadtteilen Blumenthal, Walle und Huchting ein Modellprojekt zur breiten Beteiligung von Jugendlichen an der Weiterentwicklung von jugendbezogener Infrastruktur mittels des digitalen Lernmanagementsystems itslearning mit jeweils folgenden Elementen durchführen:
a. eine Umfrage über die Bekanntheit und Nutzung der jugendbezogenen Infrastruktur im Stadtteil sowie über Wünsche an die Stadtteilgestaltung und Jugendarbeit;
b. eine Abstimmung über ein Projekt zur Verbesserung der jugendbezogenen Infrastruktur im Stadtteil. Hierfür soll ein angemessenes Projektbudget bereitgestellt sowie vorab konkrete und zeitnah realisierbare Auswahlmöglichkeiten gemeinsam mit dem Jugendforum Blumenthal bzw. dem Jugendbeirat Huchting bzw. dem Beirat (und ggf. Jugendforum) Walle erarbeitet werden;
c. einen Bericht über die Durchführung des Modellprojekts vorzulegen sowie die Vorstellung der Ergebnisse im Beirat und anschließend im Jugendhilfeausschuss;
d. eine zeitnahe Umsetzung des von den Jugendlichen favorisierten Projekts;
2. auf Grundlage der Erfahrungen aus den Modellprojekten die Jugendbeteiligung auf Stadtteilebene über die neuen digitalen Beteiligungsmöglichkeiten mit itslearning stadtweit strukturell stärken insbesondere mit Blick auf:
a. die Bedarfsermittlung und Planung der Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit wie es auch der Jugendbericht 2022 empfiehlt und
b. stadtplanerische Prozesse, insbesondere wenn sie Aufenthaltsorte von Jugendlichen und Sport- und Bewegungsflächen umfassen und dabei zu beachten, dass
c. digitale Beteiligungsmöglichkeiten bereits bestehender Beteiligungsformate nicht ersetzen, sondern im Idealfall ergänzen,
d. der Gegenstand des Beteiligungsverfahrens inhaltlich und sprachlich jugendgerecht und niedrigschwellig aufbereitet wird und
e. die zuständigen fachpolitischen Gremien mit den Ergebnissen der Beteiligungsverfahren befasst werden;
3. prüfen, wie auch die Beteiligung von Kindern an kinderrelevanten Themen auf Stadtteilebene über itslearning altersangemessen gestärkt werden kann;
4. mit dem Magistrat Bremerhaven zu beraten, wie in einem ähnlichen Prozess ebenfalls Modellprojekte mit dem Ziel, digitale Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in Bremerhaven auszubauen, durchgeführt werden können.
Hierfür soll der Senat zum anderen
5. die Kinder- und Jugendbeteiligungsstrategie in einem ersten Schritt in einer Entwurfsfassung erarbeiten. Sie soll
a. aus einer Analyse der bestehenden Beteiligungsformate im Land Bremen unter Einbeziehung der Beiratsebene und einer Evaluierung dieser auf die Faktoren Wirkmächtigkeit und Reichweite bestehen,
b. eine Bestandsaufnahme der Ressortzuständigkeiten und eine Bewertung hinsichtlich der Praktikabilität vornehmen, um unter dem Vorzeichen von Bürokratieabbau Mitbestimmungsprozesse zu vereinfachen und zu be-schleunigen,
c. Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen auflisten, um alle Akteur*innen für Beteiligungsformate zu qualifizieren und
d. in einer Übersicht die Zuständigkeiten, Strukturen und Angebote mit geeigneten (Öffentlichkeits-)Maßnahmen transparent machen;
6. in einem zweiten Schritt diese Entwurfsfassung a.) Fachakteur*innen der Kinder- und Jugendarbeit im Rahmen des Landesjugendhilfeausschusses und b.) Kindern und Jugendlichen im Rahmen des zukünftigen Demokratietags an Schulen im Land Bremen in jeweils angemessener Form vorstellen und mit ihnen beraten sowie anschließend unter Berücksichtigung des jeweiligen Feedbacks weiterentwickeln;
7. den staatlichen Deputationen für Soziales, Jugend und Integration sowie für Kinder und Bildung als auch dem Landesjugendhilfeausschuss drei Monate nach Beschlussfassung einen ersten Zwischenbericht vorlegen, der Aussagen darüber trifft, wer den Erstellungsprozess der Jugendbeteiligungsstrategie koordiniert und nach welchem Zeitplan die einzelnen Zwischenetappen bis zur Verabschiedung der geforderten Beteiligungsstrategie erreicht werden sollen;
8. der Bürgerschaft (Landtag) die Kinder- und Jugendbeteiligungsstrategie innerhalb eines Jahres nach Beschlussfassung vorlegen.
Sahhanim Görgü-Philipp, Dr. Franziska Tell, Dr. Henrike Müller und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Selin Arpaz, Katharina Kähler, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Dariush Hassanpour, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE