Aufklärung nur mithilfe ziviler Recherche? Ermittlungen nach dem Brandanschlag auf ein Jugendkulturzentrum
Derzeit läuft das Hauptverfahren wegen des neonazistischen Brandanschlags auf das Jugendzentrum „Die Friese“ im Februar 2020 vor dem Bremer Landgericht. Angeklagt sind drei bekannte Neonazis, im ersten Obergeschoss Feuer gelegt zu haben, während im Erdgeschoss ein Konzert stattfand.
Im Prozess vor dem Landgericht kam heraus, dass der erste Anfangsverdacht gegen mindestens einen der heute Angeklagten im März 2020 festgestellt werden konnte. Bis zur Durchführung von Hausdurchsuchungen im September 2021 vergingen aber anderthalb Jahre. Zwischenzeitlich wurden die Ermittlungen nach Aussage der damaligen Ermittlungsführerin pausiert. Auch die Staatsanwaltschaft wurde erst im Juni 2021 tätig und trug die heute Angeklagten als Beschuldigte ein. Sowohl die Ermittlungen zu Tatfolgen wie Verletzungen als auch die Zeug*innenvernehmungen waren nach Aussage der Nebenklage im Prozess unvollständig. Zentrale Zeug*innen mussten sich proaktiv an den Staatsschutz wenden. Vorhandenen Spuren wurde vor dem Hintergrund einer möglichen rechtsterroristischen Tat nicht nachgegangen. Es wirkt so, als hätten Polizei und Staatsanwaltschaft trotz vorliegender Hinweise auf Täter eines rechten Brandanschlages anderthalb Jahre lang kaum etwas unternommen. Der entscheidenden Ermittlungsdurchbruch wurde dem Anschein nach durch ein anonym eingeschickte Ermittlungsdossier antifaschistischer Engagierter ermöglicht, nicht durch eigene Ermittlungsarbeit der Polizei. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt und die Bremer Beratungsstelle Soliport wiesen bereits im Januar diesen Jahres darauf hin, dass die niedrige Verurteilungsquote rechter Brandstifter – nur 10 bis 15 Prozent werden verurteilt – „die Kultur der Straflosigkeit und die Entstehungsbedingungen für weiteren rechten Terror“ fördern. Insbesondere naheliegende Ermittlungsschritte, wie die Befragung von polizeibekannten Neonazis in der Nachbarschaft der angegriffenen Orte als Zeug*innen, finden kaum statt.
Als bei den durchsuchten Wohnungen nicht nur Verweise auf den NSU, sondern auch auf das mittlerweile verbotene Blood & Honor Netzwerk, aus dem der NSU hervor ging, auf-tauchten, wurden diese nicht beschlagnahmt. Darunter auch eine bekannte Anleitung zum Terrorismus und diverse Tonträger. In den Chatnachrichten gibt es Hinweise auf illegale Bewaffnung einzelner Angeklagter und bei einer Hausdurchsuchung wurde mindestens eine ordnungswidrig aufbewahrte Schusswaffe gefunden. Die Begründung der Ermittlungsführerin im Prozess, die rechte Gesinnung sei sowieso bekannt gewesen, legt mögliche Defizite in der Bremer Staatsschutzabteilung zur Kenntnis der Abstufungen innerhalb der rechten Szene und der stochastischen Gewaltwirkung rechtsterroristischer Konzepte offen, die von Einzelnen oder kleineren Gruppen umgesetzt werden können und ebenso spontane Gewalttaten inspirieren. Tonträger, in denen zum Mord an konkreten Menschen aufgerufen wird und Anleitungen zum Terrorismus sind für die Bewertung eines Brandanschlages auf ein alternatives Jugendzentrum durch rechte Täter relevant.
Unser Fraktionsvorsitzender Nelson Janßen hat mit seinem Team eine Kleine Anfrage erarbeitet. Den kompletten Fragenkatalog können Sie hier einsehen.