Gemeinsam sind wir stärker – Europa muss jetzt Zusammenhalt zeigen!

Die Corona-Krise erschüttert die ganze Welt. Drastische Einschnitte in das öffentliche Leben und die individuellen Grundrechte der Bürger*innen wurden vorgenommen, um Leben und Gesundheit aller zu schützen. Alle Menschen, aber auch unsere Volkswirtschaft insgesamt sowie unsere Sozialsysteme stehen vor enormen Herausforderungen.

Über einen längeren Zeitraum ist der Eindruck entstanden, dass es bei der Bewältigung der Corona-Krise kein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union mehr gibt. Jedenfalls zu Beginn hat jedes Land nur die für sich notwendigen Maßnahmen getroffen, eine Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten schien anfangs gar nicht mehr zu erfolgen.

Dabei hat die Europäische Kommission neben weiteren Maßnahmen bereits am 17. März 2020 einen Beraterstab zu COVID-19 eingesetzt, der die Kommission beraten und EU-Leitlinien für wissenschaftlich fundierte, koordinierte Risikomanagementmaßnahmen ausarbeiten soll, am 23. März 2020 Leitlinien für Grenzmanagementmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Waren und wesentlichen Dienstleistungen veröffentlicht (Green Lanes) und am 2. April 2020 ein Instrument zur vo-rübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in Ausnahmesituationen mit dem Namen „SURE“ (Support mitigating Unemployment Risks in Emergency) vorgelegt. Leider zeigten die nationalen Regierungen aller EU-Mitgliedstaaten zu lange kein Interesse an den Maßnahmen der EU-Kommission.

Der zunächst vorherrschende Eindruck einer mangelnden Solidarität zwischen den Staaten Europas wurde im Verlauf der Zeit gemildert, zum Beispiel durch die Behandlung einiger italienischer und französischer Intensivpatienten in Deutschland und die gegenseitige Unterstützung der französisch-deutschen Grenzregionen mit medizinischem Material oder durch die zügigen Rückholaktionen von EU-Bürger*innen aus Drittändern.

Auch die anfangs fehlende Abstimmung gesundheitsschützender Maßnahmen scheint in Gang zu kommen – was zur Überwindung der Pandemie drin-gend erforderlich ist. Denn so wenig wie das Virus an Grenzen Halt macht, so wenig helfen nationale Alleingänge bei seiner Bekämpfung. Die Corona-Pandemie hat sich zu einer globalen, und somit auch zu einer europäischen Herausforderung entwickelt. Zu ihrer Überwindung bedarf es eines koordinierten, europäischen Kraftaktes.

Auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union kommen hohe Krisenkosten zu, die aus der Stabilisierung der Gesundheitssysteme, der wirtschaftlichen Strukturen und vielleicht schon bald des Finanzsystems erwachsen. Der finanzielle Spielraum insbesondere der gesundheitlich und wirtschaftlich am stärksten von der Pandemie betroffenen Staaten Italien und Spanien schrumpft dramatisch. Daher ist eine solidarische Finanzierung der Kosten der Pandemie sowie der erforderlichen Wiederaufbauprogramme notwendig.

Bei dem nun notwendigen Konjunkturprogramm darf es nicht nur um die Wie-derherstellung des Zustands vor der Corona-Krise, also des „Status quo ante“ gehen. Anstatt einer bloßen „Restauration“ muss es vielmehr um nachhaltige Transformation gehen. Dies erfordert eine erhebliche Ausweitung des EU-Haushalts und die richtige Schwerpunktsetzung bei öffentlichen Investitionen.

Die Staats- und Regierungschef*innen haben bereits einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan: sie billigten die Einigung der Euro-Gruppe über drei Sicherheitsnetze für Arbeitnehmer*innen, Unternehmen und Staaten in Form eines Pakets im Umfang von 540 Mrd. Euro. Sie riefen dazu auf, dass das Paket bis zum 1. Juni 2020 bereitsteht und genutzt werden kann. Die Europäische Kommission legte schließlich am 27. Mai 2020 einen Vorschlag für einen „Recovery Fund“ („Next Generation EU“) vor, der von den meisten EU-Staaten begrüßt wurde. Er umfasst 750 Mrd. Euro für Zuschüsse und Kredite für die am meisten betroffenen Regionen Europas, die von der Europäischen Kommission auf den Finanzmärkten aufgenommen und bis spätestens 2058 zurückbezahlt werden, dem aktualisierten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) von 1.100 Mrd. Euro für die Jahre 2021-2027, sowie aus einer Brückenlösung zur Mobilisierung zusätzlicher Haushaltsmittel in der Höhe von 11,5 Mrd. Euro im laufenden Jahr 2020. Nicht zuletzt die deutsch-französische Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Corona-Krise hat wichtige Impulse für eine nachhaltige Ausrichtung der Krisenbewältigung gesetzt. Unter der anstehenden Ratspräsidentschaft und insbesondere bei der Aushandlung des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU ist die Bundesregierung aufgefordert, hier entscheidende Impulse für die Durchsetzung einer angemessenen solidarischen Antwort auf die Pandemie setzen.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

1. Die Bürgerschaft (Landtag) begrüßt die Anstrengungen der Europäischen Union und der EU-Mitgliedstaaten, in der Pandemiekrise gemeinsam zu handeln.
2. Die Bürgerschaft (Landtag) begrüßt die Schlussfolgerungen des Vorsitzenden des Europäischen Rates vom 23. April 2020, die ein Konjunkturprogramm für Europa, verknüpft mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU vorsehen.
3. Die Bürgerschaft (Landtag) begrüßt den deutsch-französischen Vorschlag, zur Bewältigung der Krise über einen stark erweiterten europäischen Haushalt eine gemeinsame Kreditaufnahme der EU-Mitgliedstaaten und auch die Zah-lung von Zuschüssen an besonders stark getroffene Länder zu ermöglichen.
4. Die Bürgerschaft (Landtag) begrüßt die Vorschläge der Kommission vom 27. Mai 2020 für einen Aufbauplan „Next Generation EU“, den aktualisierten Vorschlag zum MFR 2021-2027 inklusive einer Brückenlösung für die Mobilisierung von Haushaltsmitteln im Jahr 2020. Insbesondere das Vorhaben zur Anhebung der Eigenmittelobergrenze, zusätzliche Eigenmittel und die sub-stantielle Aufstockung zentraler EU-Programme, die auch dem Bundesland Bremen zugutekommen können.
5. Die Bürgerschaft (Landtag) erwartet eine zukunftsfähige Schwerpunktsetzung des Konjunkturprogramms (“Next Generation EU“) und des vorgeschlagenen Aufbauplans der Europäischen Union, die folgenden Bereichen eine hohe Priorität einräumt: Förderung des Klimaschutzes und nachhaltiger Wirtschaftsmodelle, Gewährleistung einer sicheren Daseinsvorsorge insbesondere im Gesundheitsschutz, Förderung eines sozial ausgestalteten Strukturwandels in den Regionen der EU, sowie eine stärkere Berücksichtigung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratiekriterien bei Mittelvergaben an EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten.
6. Die Bürgerschaft (Landtag) sieht das Erfordernis einer deutlichen Ausweitung des EU-Haushaltes, die sowohl vorhandene wie noch zu entwickelnde Modelle der Finanzbeschaffung nutzt. Aufgabe der deutschen EU-Ratspräsidentschaft muss es daher sein, bewährte Instrumente und neue Vorschläge, wie eine Erhöhung der Beiträge der Mitgliedstaaten, die Schaffung neuer Einnahmequellen oder Möglichkeiten europäischer Verschuldung ernsthaft auf deren Realisierung hin zu bewerten.
7. Die Bürgerschaft (Landtag) hält in Folge der Wiederaufbaumaßnahmen eine erweiterte Zielbeschreibung der europäischen Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitiken sowie eine stärkere Vergemeinschaftung der Steuerpolitik für erforderlich. Die bisher ausschließliche Fixierung auf strenge Verschul-dungsziele muss ergänzt werden um weitere wirtschaftspolitische Ziele wie Beschäftigungsförderung oder Umweltverträglichkeit. Erforderlich sind zugleich wirksame Maßnahmen gegen Steuerdumping, Steuervermeidung und Steuerumgehung.
8. Die Bürgerschaft (Landtag) sieht in der Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten und in der solidarischen Unterstützung der afrikanischen Zivilgesellschaft und Bevölkerung eine herausragende Aufgabe der Europäischen Union in der Corona-Krise. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen und sozialen Krisenfolgen und für einen nachhaltigen Wiederaufbau müssen daher eine angemessene Komponente der Unterstützung auch in diese Richtung enthalten.
9. Die Bürgerschaft (Landtag) begrüßt das Schuldenmoratorium der G20 für 77 Entwicklungsländer und die Ausweitung des Katastrophenfonds des IWF, aus dem Entwicklungsländern der laufende Schuldendienst abgenommen wird. Sie hält diese Maßnahmen jedoch nicht für ausreichend, um Entwicklungsländer in der Corona-Krise nachhaltig zu entlasten. Die Europäische Union soll sich im internationalen Rahmen konsequent für eine tatsächliche Schuldenstreichung gegenüber Entwicklungsländern und für die zusätzliche Mobilisierung internationaler Mittel zur Krisenbekämpfung einsetzen.
10. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, gegenüber der Bundesregierung und der Europäischen Union diese Sichtweisen und Positionen zu vertreten.

Antje Grotheer, Arno Gottschalk, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Dr. Henrike Müller, Björn Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Cindi Tuncel, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE