Forschung zeitgemäß gestalten, Arbeitsplätze erhalten: Ein nachhaltiger Neubau der Polarstern

Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) braucht ein neues Forschungsschiff. Dafür soll seit Langem die „Polarstern“, die mittlerweile stark in die Jahre gekommen ist und dadurch jährlich hohe Wartungskosten erzeugt, neu gebaut werden. Und zwar so schnell wie möglich, denn sollte die „Polarstern II“ nicht zügig vor 2027 in Dienst gestellt werden, gefährdet dies die Zukunft der deutschen Polarforschung. Im Frühjahr 2020 wurde das Ausschreibungsverfahren für den Neubau der Polarstern durch das Bundesforschungsministerium abgebrochen, sodass nun erhebliche Unsicherheiten für das AWI und die Polarforschung bestehen.

Gleichzeitig sind durch die Covid-19-Pandemie bei den deutschen Schiffswerften Aufträge storniert bzw. in der Abarbeitung zeitlich gestreckt worden. Diese freien Kapazitäten, gerade in Bremerhaven, müssen jetzt genutzt werden, um die bestehenden Pläne für den Neubau der „Polarstern“ unter Berücksichtigung aktueller Nachhaltigkeitsstandards umzusetzen.

Der Forschungsschiffbau muss zur Schlüsseltechnologie erklärt werden. Eine Direkt- bzw. Angebotsvergabe an deutsche Werften erhält unsere Schiffbaustandorte mit Beschäftigung und Kompetenz und fördert eine zukunftsweisende Technologie. Dies sichert Arbeitsplätze auf den Werften und bei den Zulieferern auch langfristig ab und gewährleistet Wettbewerbsfähigkeit, da mittels des Vorhabens dringend notwendige Kompetenzen im Bereich des nachhaltigen Schiffbaus erworben werden. Die Kompetenz des Bremerhavener Schiffbaus auch durch die Erfahrung und jahrzehntelange Wartung der Polarstern, sowie die räumliche Nähe zum AWI als Auftraggeber, in Kooperation mit den Werften in Mecklenburg-Vorpommern, sichert die fachliche Kompetenz. In diesem Sinne begrüßen wir die Initiative der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und des Bremer Bürgermeisters.

Der technisch anspruchsvolle Bau von Forschungsschiffen birgt enormes Innovationspotenzial, da hier nachhaltige Technologien, wie zum Beispiel moderne Antriebstechnik mit Rußfilter und Katalysator oder neuste Filtertechnologie für Schwarz- und Ballastwasser, angewendet und (dauerhaft) erprobt werden können. Überprüft werden sollte zudem, ob auch andere, noch umweltfreundlichere Antriebe für die Hochleistungsforschungsschifffahrt in den eisbedeckten Polarregionen geeignet sind. Die Polarstern II muss dabei sowohl im Eis überwintern als auch die Regionen des künftig letzten Meereises erreichen können. Zu prüfen ist, ob Hybridantriebe aus Flüssiggas (LNG) und elektrische Antriebstechniken, windunterstützte Antriebe, emissionsfreie Kraftstoffe, Batterien oder Brennstoffzellen künftig auch für die Polarforschung nutzbar sind. Bei der konkreten Konzeption der „Polarstern II“ sollten zudem alle technisch möglichen Vorkehrungen getroffen werden, um den Antrieb zu einem späteren Zeitpunkt umrüsten zu können (Vermeidung sogenannter Lock-In-Effekte). Dazu gehört auch, dass bis 2023 in Bremerhaven ein Angebot an Landstromanschlüssen geschaffen wird, mit dem Emissionen in Liegezeiten reduziert werden können. Auch die Polarstern II sollte daher mit einem Landstromanschluss ausgestattet sein.

Ein nachhaltiger Bau der „Polarstern II“ passt optimal in die „Maritime Forschungsstrategie 2025“ und die „Maritime Agenda 2025“ des Bundes. Zusätzlich sind die angewandten Technologien auch auf andere Wirtschaftszweige übertragbar sowie wegweisend für die deutsche Industrie gegenüber anderen Standorten und damit als Schlüsseltechnologie zu definieren. Eine nachhaltige Bauweise ist zwar anfangs teurer als eine konventionelle, zahlt sich aber, wie jede Maßnahme für den Klimaschutz, in Summation letztendlich aus. Jeder technische Vorsprung für sauberen Schiffsbetrieb ist ein Dienst an der Umwelt und dient der Erhaltung der Lebensgrundlagen. Gerade die Einsatzgebiete des Polarforschungsschiffes sind sensible Lebensräume: Rußpartikel führen zum schnelleren Abschmelzen der polaren Eiskappen. Nichthandeln im Bereich Klimaschutz führt zu Folgekosten, die in ihrem Ausmaß kaum abschätzbar sind. Einen ersten Vorgeschmack haben aber beispielsweise die Kompensationen, die für den Dürresommer 2018 gezahlt werden mussten, gegeben.

Eine umfassend nachhaltige Bauweise und ein umfassend nachhaltiger Betrieb entsprechen zusätzlich dem unbedingten Wunsch der Wissenschaftler*innen des AWI. Aufgrund der sich im Schiffbau und in der Robotik schnell entwickelnden Technologien ist es weder in der Wissenschaft noch der Bevölkerung vermittelbar, dass Forscher*innen ihre Arbeiten zum besseren Verständnis und zur Abmilderung des Klimawandels nicht unter möglichst umweltfreundlichen Bedingungen durchführen können. Darüber hinaus wäre eine nachhaltig erbaute „Polarstern II“ nicht nur für die Wissenschaftsstandorte Bremerhaven und Bremen von höchster Relevanz, sondern trüge auch zur Stärkung der Repräsentanz und somit zur internationalen Strahlkraft der gesamten deutschen Klima-, Polar- und Meeresforschung bei. Forschungsschiffe wie die „Polarstern“ werden für eine Betriebsdauer von rund 30 Jahren gebaut. Diese lange Nutzungsdauer, die Forschungsnotwendigkeit und die Nachhaltigkeit rechtfertigen die hohen Investitionskosten.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,

  1. sich auf Bundesebene für einen schnellstmöglichen Bau der Polarstern II in Kooperation von Bremerhaven und Mecklenburg-Vorpommern einzusetzen und damit langfristig Beschäftigung an der Küste zu sichern;
  2. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass der Neubau der Polarstern unter Berücksichtigung aktueller Nachhaltigkeitsstandards erfolgt und möglichst klimaneutrale Antriebe geprüft werden. Hierbei sind alle technisch möglichen Vorkehrungen einzubeziehen, die eine Umrüstbarkeit des Antriebs zu einem späteren Zeitpunkt offenhalten;
  3. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Vergabe schnellstmöglich, wenn erforderlich in einem beschleunigten und rechtssicheren Vergabeverfahren oder in Direktvergabe erfolgt;
  4. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass der Bau von Forschungsschiffen als Schlüsseltechnologie im Sinne der Technologie-, Industrie- und Standortförderung definiert wird;
  5. dem Ausschuss für Wissenschaft, Medien, Datenschutz und Informationsfreiheit, der staatlichen Deputation für Wirtschaft und Arbeit und dem Ausschuss für Angelegenheiten der Häfen im Lande Bremen binnen vier Monaten zu berichten.

Dr. Solveig Eschen, Robert Bücking, Maurice Müller, Philipp Bruck, Dorothea Fensak, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Janina Brünjes, Volker Stahmann, Jörg Zager, Martin Günthner, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Miriam Strunge, Ingo Tebje, Nelson Janßen, Sofia Leonidakis und Fraktion DIE LINKE