Bremer Biodiversitätsstrategie und Insektenschutzprogramm

Der Biodiversitätsverlust weltweit, in Deutschland und auch in Bremen ist neben der Klimakrise die größte existentielle Gefahr für unsere Lebensgrundlagen. Die Gründe für das Artensterben in Europa (Europäische Umweltagentur 2020) und weltweit sind:
1. Nicht nachhaltige Land- und Forstwirtschaft
2. Zunehmende Umweltverschmutzung
3. Ungebremster Flächenverbrauch
4. Klimawandel sowie auch
5. illegale Fang- und Jagdpraktiken.
Seit Jahren lässt sich global ein drastisches Insektensterben beobachten. Genauere Zahlen über den Schwund der Insektenvielfalt sind bis jetzt nur regional vorhanden, auch aufgrund von fehlender fachlicher Expertise und einem dadurch entstehenden Datenmangel. Untersuchungen in Deutschland zeigen aber, dass die Biomasse an Insekten sogar in Schutzgebieten Westdeutschlands innerhalb der letzten 27 Jahre um über 75 Prozent zurückgegangen ist. Von den Insektenarten, die in der Roten Liste geführt werden, ist fast die Hälfte mindestens bestandsgefährdet oder sogar bereits ausgestorben. Im langfristigen Trend haben 40 Prozent eine negative Entwicklung des Bestandes, was die Anzahl an gefährdeten Arten in Zukunft noch erhöhen dürfte. Besorgniserregend ist dabei zusätzlich, dass von den 30.000 Insektenarten, die in Deutschland vorkommen, gerade einmal 8.000 durch die Rote Liste bewertet wurden.

Ein anschauliches Beispiel für das Artensterben sind die Wildbienen. Laut einer Datenerhebung von 2008 stehen über die Hälfte der Wildbienenarten auf der Roten Liste und sind somit entweder gefährdet oder bereits ausgestorben. Die Lage hatte sich seit der letzten Datenerhebung in dem Jahr 1998 nicht verbessert. Dabei sind Insekten systemrelevant und tragen einen erheblichen Anteil zum Bestehen des Ökosystems bei.

Die Gründe für das Insektensterben sind vielfältig. Die eine Ursache oder den einen Verursacher gibt es nicht. Verschiedene Faktoren wirken dabei komplex zusammen. Einerseits haben die Insekten durch Monokulturen in der Landwirtschaft, Pestizideinsatz, Verlust von Lebensraumstrukturen und eine sich weiter ausbreitende Bodenversiegelung weniger Lebensraum, Nahrungsangebot und Nistmöglichkeiten. Durch die erschwerten Lebensbedingungen sind z. B. die Wildbienen anfälliger für Krankheitserreger. Andererseits macht den Insekten der menschengemachte Klimawandel zu schaffen, mit den einhergehenden veränderten Lebensbedingungen und Extremwetterperioden, wie die heißen Sommer.

Die Rolle der Städte ist dabei ambivalent. Einerseits trägt eine zunehmende Verstädterung mit einer ausgreifenden Versiegelung von Flächen sowohl zum Verlust von Biodiversität (biologische Vielfalt) als auch zur Verwundbarkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels (Starkregen, Hochwasser, Hitze) bei. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Schaffung neuer oder die Verdichtung bestehender Quartiere nicht durch eine ambitionierte Politik zur Entwicklung des Stadtgrüns begleitet wird.

Andererseits finden Insekten in Städten, insbesondere in kleinteiligen Stadtgebieten mit Gärten und Parks, heute schon oft bessere Lebensbedingungen als auf ausgeräumten landwirtschaftlich genutzten Flächen. Dieser positive Befund ist aber oft nicht das Ergebnis einer gezielten und systematisch angelegten Biodiversitätsstrategie, sondern eher das Nebenprodukt anderer Entwicklungen.

Auch in Bremen, einer der grünsten Großstädte in Deutschland, fehlt es bislang noch an einer solchen Strategie. Sie zu entwickeln, ist eine Aufgabe, die jetzt auf die Tagesordnung gesetzt werden muss. Das gilt umso mehr, als im Rahmen der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 alle Städte in Deutschland und Europa auch förmlich aufgerufen sind, einen Beitrag für die Sicherung und Verbesserung der Artenvielfalt zu leisten. Als wesentlicher Teil des Ökosystems müssen die Insekten darin eine zentrale Rolle einnehmen.

Die Stadtbürgerschaft möge beschließen:
1. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, eine ressortübergreifende und handlungsorientierte Bremer Biodiversitätsstrategie zu entwickeln. Ein runder Tisch ist einzurichten. Der Senat wird gebeten, bis maximal drei Monaten nach Beschlussfassung der zuständigen Deputation einen Vorschlag über Inhalte und Teilnehmerkreis vorzulegen. Ein Insektenschutzprogramm ist ein besonders wichtiger Baustein dieser Strategie und prioritär zu entwickeln. Dabei sind insbesondere auch die Chancen einer Förderung des „vertikalen Grüns“ in der Stadt (Fassadenbegrünung etc.) auszuloten. Die Strategie muss klare Handlungsfelder, Maßnahmen und Verantwortlichkeiten regeln. Zudem ist die Frage einer möglichen wissenschaftlichen Begleitung zu klären. Der Finanzbedarf für die Umsetzungsphase ist darzustellen.
2. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat erneut, den Pestizideinsatz auf allen selbst genutzten und verpachteten Flächen – auch der Sondervermögen – zu verhindern. Es sollte Kontrollen geben, inwiefern Pestizide nicht erlaubt immer noch eingesetzt werden. Mit der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) ist eine Strategie zu entwickeln, um den Pestizideinsatz sukzessive zu verringern. Gespräche mit der Deutschen Bahn müssen ebenfalls geführt werden, um den Pestizideinsatz deutlich zu verringern.
3. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, den Versuch für begrünte Haltestellen der BSAG schrittweise auf eigene Haltestellen auszuweiten, mit den Betreibern der anderen Haltestellen das Gespräch zu suchen und bei der Neuvergabe begrünte Haltestellen zu berücksichtigen. Andere Flächen der BSAG, wie Wendeschleifen, sollten insektenfreundlich gestaltet werden.
4. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, bei der Neuanlegung von öffentlichen Grünflächen die Anlage von Blühflächen mit heimischen, mehrjährigen, insektenfreundlichen Pflanzen vorrangig umzusetzen. Dabei ist darauf zu achten, vorhandene ökologisch wertvolle Flächen zu erhalten. Ein Kataster für geeignete Blühflächen ist zu erstellen. Ein wesentlicher Teil der vom UBB gepflegten Flächen ist zu insektenfreundlichen Blühflächen zu entwickeln.
5. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, eine ökologisch extensive Grünpflege u.a. nach dem Vorbild der Bremerhavener Grünflächenstrategie umzusetzen – durch ein Nutzungsmosaik von gemähten und ungemähten Grasflächen, durch zeitversetzte Mahd mit insektenfreundlichen Mähgeräten und der Erhaltung von Refugien für Insekten, z.B. an Wiesenrändern und saisonal begrenzten Strauchschnitt. Zudem müssen Korridore zur Biotopvernetzung mit beachtet werden.
6. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, bei Baumneupflanzungen bzw. Nachpflanzungen nur noch insektenfreundliche und klimaangepasste Sorten zu verwenden. Altbaumbestände sind zu schützen und zu erhalten. Bei der Anpflanzung von Stauden und Sträuchern ist ebenso zu verfahren. Auf eine naturnahe Pflege ist zu achten. Eine weitere Ausweitung von Nisthabitaten ist durch Stehen-/Liegenlassen von Totholz zu schaffen, soweit Belange der Verkehrssicherheit nicht dagegensprechen. Im Straßenbegleitgrün ist die Auffüllung mit magerem Sand statt Mutterboden an geeigneten Stellen abzuwägen.
7. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, den Gebrauch von Laubbläsern und -saugern im öffentlichen und gewerblichen Rahmen weiter merklich einzuschränken.
8. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat zu prüfen, ob die Stadtgemeinde Bremen dem Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ nach dem Vorbild der Stadt Bremerhaven beitritt und sich am Labeling-Verfahren „Stadtgrün naturnah“ beteiligt.
9. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, das Gründachprogramm zu einem Förderprogramm für die Dach- und Fassadenbegrünung zu erweitern und zu prüfen, inwieweit dieses als insektenfreundliches Programm ausgestaltet werden kann.
10. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, die Fassadenbeleuchtung von baulichen Anlagen der öffentlichen Hand und Beleuchtungen im Außenbereich zu vermindern und mit reduzierten insektenfreundlichen Leuchtmitteln in nach unten strahlenden Gehäusen zu realisieren. Bei sonstiger Beleuchtung, insbesondere Straßenbeleuchtung, sollen insektenfreundliche Leuchtmittel eingesetzt werden. Neue Bebauungspläne sollten diese Anforderungen für Beleuchtung enthalten. Die Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes und der neu eingefügte § 41 a zur Vermeidung von nachteiligen Auswirkungen von Beleuchtungen müssen schnellstmöglich auch in Bremen Anwendung finden.
11. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, das im überregionalen Maßstab erfolgreiche Schutzgebietsmanagement im Bremer Feuchtgrünlandgürtel sicherzustellen. Dabei kommt die Schlüsselrolle den vom Verbandsnaturschutz getragenen Kümmerer*innen vor Ort zu. Bedeutsam ist dabei die Fortsetzung des langjährigen Monitorings, das stärker die Entwicklung der Insekten in Verbindung mit der landwirtschaftlichen Nutzungsweise und Veränderungen durch den Klimawandel in den Fokus nehmen soll.
12. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, für kooperative Schutzgebietsbetreuung, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen, Agrarumweltmaßnahmen, Monitoring und Öffentlichkeitsarbeit eine verlässliche Finanzierung sicherstellen, die zu einem großen Teil mit EU-Mitteln kofinanziert werden soll.
13. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, zu prüfen, welche Flächen (insbesondere Dächer und Fassaden) in innenstadtnahen Gebieten wie Mitte, Östliche Vorstadt und Neustadt insektenfreundlich bepflanzt werden können.
14. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, Vorschläge zur naturnahen Gestaltung von Flächen auf Friedhöfen zu entwickeln.
15. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, einen Auszeichnungspreis „Biodiversität in Bremer Unternehmen“ zu kreieren und einen Ideenwettbewerb für Biodiversitäts-Maßnahmen im „Konzern Bremen“ aufzusetzen.
16. Die Stadtbürgerschaft bittet den Senat, solche Insektenarten zu ermitteln, deren Vorkommen eine besondere Verantwortung Bremens für ihre Erhaltung auslösen. Für diese sind geeignete Artenschutzmaßnahmen zu konzipieren und umzusetzen.

Ralph Saxe, Philipp Bruck, Jan Saffe, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ingo Tebje, Olaf Zimmer, Sofia Leonidakis und Fraktion DIE LINKE
Arno Gottschalk, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD