Strunge: Kulturflächenentwicklung

Kulturflächenentwicklungsprogramm auflegen: Kulturangebote quartiersnah etablieren, Ansiedlungsbedingungen von Kulturnutzungen verbessern

Kultur lebt davon, sich permanent weiterzuentwickeln und Neues auszuprobieren. Neue Initiativen entstehen, junge Künstler*innen bringen frische Ideen ein, etablierte Akteur*innen wollen alte Pfade verlassen und an neuen Orten ihre Angebote weiterentwickeln. Damit befriedigen die Künste mit ihrer Neugier nicht nur ein Grundbedürfnis des Menschen, sondern sind auch ein unverzichtbares Element der städtischen Entwicklung. Kultur trägt bei zur Lebensqualität und zum sozialen Zusammenhalt, zur Attraktivität und Kreativität in der Stadt. Um alle Teile der Stadt mit diesen Qualitäten gleichermaßen zu erreichen, darf sich Kultur deshalb nicht an einzelnen Orten der Stadt konzentrieren, sondern muss flächendeckend Bestandteil von Quartiersplanung sein. Sie ist auch ein wichtiges Wirtschaftselement, von der Anziehungskraft für Fachkräfte bis zur Verbindung mit kreativen Industrien.

All diese Funktionen kann Kultur nur erfüllen, wenn sie hierfür angemessen Platz hat. In der wachsenden Stadt ergeben sich dabei Konflikte um Räume und Flächen, bei denen sie oft nicht mitbieten kann. Der Beitrag der Kultur ist aber in hohem Maße frei, allgemein und drückt sich nicht in einer unmittelbaren Flächenproduktivität aus. Anders gesagt: Es gibt immer Nutzungen, die mehr bezahlen können als Kultur.

Diese Ausgangslage, im freien Spiel der Marktpreise nicht bestehen zu können, teilt Kultur mit vielen anderen Nutzungen, die gleichfalls unverzichtbar sind, wie beispielsweise Kitas, Sport, städtische Freiräume. Der Unterschied ist: Für diese Nutzungen werden gezielt Flächen freigehalten. Sie werden konkret festgesetzt in Bebauungsplänen und städtebaulichen Verträgen. Für Kultur ist das in der Regel nicht der Fall.

Im Baugesetzbuch sind viele Möglichkeiten für Festsetzungen als Inhalt von Bebauungsplänen ausdrücklich erwähnt, von Stellplätzen und Versickerungsflächen bis zu Friedhöfen und Kleintierzuchtanlagen. Kultur kommt nicht ausdrücklich vor. Eine Festsetzung als Kulturfläche wäre möglich als Fläche für den Gemeinbedarf oder Festsetzung des „besonderen Nutzungszwecks von Flächen“. Dieser ist jedoch nicht abschließend definiert, sodass dies in der Praxis meist nur für schon bestehende Einrichtungen festgesetzt wird.

Das hat Folgen: In allen Städten ist die Verdrängung von Kultur ein bekanntes Problem. Dies trifft vor allem die freie Szene und subkulturelle Kultureinrichtungen wie Clubs, die nicht auf Immobilien in öffentlichem Eigentum zurückgreifen können. Steigende Miet- und Bodenpreise stellen aber auch etablierte Kulturprojekte oft vor unlösbare Probleme. Neue Projekte kommen häufig gar nicht zum Zug, weil sie die geforderten Preise nicht bezahlen können. Zwischennutzungen sind ein wichtiger Freiraum und Testraum für neue Projekte, lösen aber nicht das Problem, dass es an Orten fehlt, wo diese Projekte sich dann dauerhaft niederlassen können. Die fehlende langfristige Entwicklungsperspektive kann dabei hemmend auf die Projekte in der Zwischennutzung wirken, da sie sich von Anfang an auf Ideen beschränken müssen, die sich in kurzer Zeit realisieren lassen. Frustration und Abwanderung in andere Städte mit mehr Freiräumen sind regelmäßig die Konsequenz für neue Akteur*innen.

Kulturelle Nutzungen sind genauso verschieden wie gewerbliche Nutzungen. Zwischen einer Kellergalerie und einer Fläche für Open-Air-Partys liegen Welten. Proberäume haben andere Anforderungen als Atelierräume, Gamekultur braucht andere Orte als freies Theater. Obwohl Kultur gerne die unbegrenzte Fähigkeit zugeschrieben wird, alle möglichen Lücken füllen zu können, haben kulturelle Nutzungen – je nach ihrer Art – sehr spezifische Standortanforderungen. Die Lage entscheidet mit darüber, ob ein kulturelles Projekt funktioniert. Kultur kann vorhandene bauliche Ensemble kreativ umnutzen, aber sie kann nicht mit den Flächen auskommen, die übrigbleiben, nachdem alle anderen Nutzungen bedacht wurden.

Dass Planung anders funktionieren kann, zeigt beispielhaft das neu entstehende Tabakquartier in Woltmershausen. Dort wird von Beginn an, auch seitens der Investor*innen mitgedacht, dass ein neues Quartier keine kulturelle Brachfläche sein darf. Zukünftig werden dort von der freien Szene, über das städtische Orchester bis zu einem kommerziellen Theater diverse Angebote angesiedelt. Eine solche Herangehensweise ist aber keine Selbstverständlichkeit. Stadtentwicklung muss daher im Dialog mit den Investor*innen auch auf die Berücksichtigung dieser Belange drängen.

Die Bedarfe der jungen Szene, der Subkultur, der Clubkultur, der urbanen Experimente, sind oft weniger institutionalisiert und weniger strukturell verankert, so dass sie in den oft langwierigen Prozessen städtebaulicher Planungen nicht ausreichend berücksichtigt werden konnten.

Kulturflächenplanung muss daher ein normaler, regelhafter Bestandteil der Stadtentwicklungsplanung werden. Schwarmstädte, kreative Städte und attraktive Urbanität fallen nicht vom Himmel, sondern entstehen nur, wenn Kultur als ein fester Bestandteil in diese Planung integriert wird.

Besonders deutlich wird dies auch am Beispiel der Innenstadt. Diese verfügt mit etablierten Einrichtungen wie Theatern, Museen, Galerien und Konzerthäusern über eine hohe Dichte an klassischen Kultureinrichtungen. Es fehlt jedoch an kulturellen Nutzungen, die die Innenstadt auch abends und nachts beleben und damit an Attraktivierung für junge Menschen außerhalb der Zielgruppe klassischer Kultureinrichtungen. Kulturelle Stadtentwicklung muss auch hier gezielt neue Impulse setzen.

Die Stadtbürgerschaft möge beschließen:

Die Stadtbürgerschaft fordert den Senat auf,

  1. ein Kulturflächenentwicklungsprogramm aufzulegen, in dem die aktuellen und perspektivischen Bedarfe unter dem Gesichtspunkt der stadtweiten Quartiersnähe ermittelt, die unterschiedlichen kulturellen Nutzungen (sowohl auf Freiflächen als auch innerhalb geschlossener Räume) berücksichtigt und im Rahmen der bundesrechtlichen Möglichkeiten Instrumente zur Festsetzung kultureller Nutzungen bereitgestellt werden;
  2. das Instrument der Konzeptvergabe von Flächen und Immobilien zu stärken und auszubauen um auf diesem Weg gezielter städtebauliche Erfordernisse, auch solche aus Sicht der Kultur, bei der Vergabe von Flächen, zu berücksichtigen;
  3. bei der Definition der Zielvorgaben der für die Flächenvergabe zuständigen Unternehmen (z.B. WFB oder Immobilien Bremen) auch die Vergabe von Flächen an kulturelle Nutzungen als mögliches Ziel festzuhalten;
  4. bei der Bauleitplanung weiterhin Entwicklungsflächen für kulturelle Nutzungen zu identifizieren, und rechtliche Möglichkeiten zu ihrer planungsrechtlichen Festsetzung zu prüfen;
  5. insbesondere im Zuge des anstehenden Wandels in der Innenstadt frühzeitig neben Flächen für Wissenschaft und Wohnen auch an geeigneten Stellen Orte für laute kulturelle Nutzungen wie Live-Spielstätten, Musikclubs und Gastronomie vorzusehen und so auf eine attraktive wie miteinander verträgliche Mischung in der Innenstadt hinzuwirken;
  6. die Einrichtung eines Förderprogramms zu prüfen, mit dem – ähnlich wie beim öffentlich geförderten Wohnraum – kulturelle Nutzungen im Neubau gefördert werden und dessen Inanspruchnahme bei der Vergabe städtischer Flächen und bei der Festsetzung neuen Baurechts verbindlich gemacht wird;
  7. sich im Lande Bremen weiterhin für bessere Ansiedlungsbedingungen für Live-Spielstätten und Musikclubs sowie für sozio-kulturelle Zentren in allen Gebietskategorien einzusetzen;
  8. sich auf Bundesebene weiterhin dafür einzusetzen, dass kulturelle Nutzungen besser und verbindlicher in der Bauleitplanung verankert werden können und insbesondere darauf hinzuwirken, dass die Berücksichtigung von Clubs als kulturelle Nutzungen schnellstmöglich im Baurecht verankert wird;
  9. der Stadtbürgerschaft sechs Monate nach Beschlussfassung zu berichten.

 

Miriam Strunge, Ralf Schumann, Sofia Leonidakis und Fraktion DIE LINKE


Kai Wargalla, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN


Elombo Bolayela, Falk Wagner, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD