Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen nachhaltig von wachsenden Eigenanteilen entlasten

Pflegebedürftige, welche in vollstationären Pflegeeinrichtungen wohnen, müssen einen Großteil der anfallenden Kosten selbst tragen. Neben den pflegerischen Kosten, die nicht von der Pflegeversicherung bezahlt werden, tragen sie die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, für Investitionen und zum Teil auch für Ausbildung und weitere Zusatzleistungen. Der sogenannte Eigenanteil, welcher sich daraus für die Pflegebedürftigen ergibt, ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen. Inzwischen zahlen Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen im Land Bremen im ersten Jahr der Unterbringung im Schnitt 3.070 Euro (Stand Juli 2024, Angaben des vdek). Davon entfallen 1.476 Euro auf die pflegerische Versorgung, 1.028 Euro auf Kosten für Unterkunft und Verpflegung und 566 Euro auf Investitionskosten.

Allein von 2022 auf 2023 gab es nach Auskunft des Senats (Drucksache 20/1868) enorme Steigerungen bei den Eigenanteilen, unter anderem aufgrund der Inflation und erhöhter Energiepreise (Steigerung des Eigenanteils für Unterkunft und Verpflegung um 7 Prozent) sowie gestiegener Personalkosten (Steigerung des pflegebezogenen Eigenanteils um 20,5 Prozent). Von einem weiteren Anstieg der Eigenanteile ist laut Aussage des Senats auch in Zukunft auszugehen. Durch die Reform der Pflegeversicherung in 2021 wird der Anstieg der im Eigenanteil enthaltenen Kosten für die pflegerische Versorgung kurzfristig etwas gebremst – mit zunehmender Aufenthaltsdauer übernimmt die Pflegeversicherung hier einen größeren Anteil, sodass beispielsweise Pflegebedürftige in 2024, welche bereits seit mehr als zwei Jahren in einer Pflegeeinrichtung leben, „nur noch“ 869 Euro statt 1.476 Euro für die pflegerische Versorgung selbst zahlen müssen. Durch weitere Kostensteigerungen, beispielsweise auf Grund der Inflation oder von Tarifkostensteigerungen, wird jedoch auch diese Entlastung binnen kurzer Zeit wieder aufgezehrt sein.

Für viele Menschen übersteigt der Eigenanteil in vollstationären Pflegeeinrichtungen inzwischen das eigene Einkommen. So lag zum Beispiel die durchschnittliche Bruttorente in 2022 nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung im Land Bremen bei 1.542 Euro. Wenn das eigene Einkommen nicht mehr zur Finanzierung eines stationären Pflegeaufenthalts reicht, sind viele Menschen gezwungen, Hilfe zur Pflege oder gar Hilfe zum Lebensunterhalt zu beantragen. Vorher muss bis auf einen Schonbetrag das eigene Vermögen und ggf. das der Partner*innen aufgebraucht werden. Im Land Bremen ist laut dem letzten Lebenslagenbericht bereits etwa jede*r dritte Bewohner*in von Pflegeheimen auf Hilfe zur Pflege oder Grundsicherung angewiesen. Durch weiterwachsende Eigenanteile wird diese Zahl vermutlich in den kommenden Jahren weiter steigen. Dies führt zeitgleich zu erheblichen finanziellen Belastungen für die Kommunen, die als Sozialhilfeträger die Eigenanteile übernehmen, welche von den Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen nicht gezahlt werden können.

Pflegebedürftigkeit sollte jedoch nicht automatisch in die Sozialhilfeabhängigkeit führen. Dies war ein erklärtes Ziel bei Einführung der Pflegeversicherung 1995. Inzwischen sind die Kosten für einen vollstationären Platz in einer Pflegeeinrichtung aber so stark angestiegen, dass die Kosten trotz Pflegeversicherung nicht mehr sozialverträglich sind. Es braucht daher endlich eine stärkere und vor allem nachhaltige Entlastung von Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen. Dafür ist ein gemeinsamer Kraftakt von Bund und Ländern notwendig. Die grundlegende Ausgestaltung der Pflegeversicherung kann nur auf Bundesebene verändert werden. Hier müssen die Eigenanteile von Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen gedeckelt werden, damit diese nicht immer weiter ansteigen können.

Ein erster Schritt ist mit der Wohngeld-Plus-Reform bereits erfolgt: Seit dem 1. Januar 2023 können auch Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen Wohngeld beziehen, sofern sie keinen Anspruch auf existenzsichernde Sozialleistungen (Grundsicherung) haben, sie aber dennoch nur über ein niedriges Einkommen verfügen und die Kosten für das Wohnen eine entsprechend hohe Belastung für sie sind. Damit sollen gerade die Selbstzahler*innen entlastet werden, für die die Eigenanteile aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Einkommen eine besonders große Belastung darstellen. Damit soll auch verhindert werden, dass diese Menschen bei perspektivisch steigenden Kosten langfristig auch auf Grundsicherung angewiesen sein könnten. Zum 1. Januar 2025 wird das Wohngeld turnusgemäß erhöht und an die gestiegenen Preis- und Mietpreiserhöhungen angepasst. Es gilt diese neue Möglichkeit verstärkt zu nutzen, bekannter zu machen und verwaltungsseitig weiterhin die Voraussetzungen sicherzustellen, dass Wohngeldanträge als Regelaufgabe mit Rechtsanspruch schnell bearbeitet werden können.

Aber auch auf Landesebene müssen die Möglichkeiten zur Entlastung ausgeschöpft werden. Hier kann vor allem bei den Investitionskosten angesetzt werden. Nach § 9 SGB XI sind die Länder „für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur“ verantwortlich. Hierfür kann durch Landesrecht auch eine finanzielle Förderung von Pflegeeinrichtungen vorgesehen werden. Ursprünglich war mit Einführung der Pflegeversicherung angedacht, dass die Länder hierfür die Einsparungen, welche ihnen im Bereich der Sozialhilfe daraus entstehen, nutzen. Der letzte Bericht des IGES-Instituts zur Investitionskostenförderung von Pflegeeinrichtungen durch die Bundesländer aus 2022 zeigt, dass sich bereits einige Bundesländer an den Investitionskosten von vollstationären Pflegeeinrichtungen beteiligen. Die Höhe der Investitionen variiert jedoch sehr stark, vielfach ist noch Luft nach oben. Bremen beteiligt sich derzeit nicht an den Investitionskosten von vollstationären Pflegeeinrichtungen.
Zukünftig sollten auch in Bremen die Möglichkeiten einer solchen Entlastung von Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen stärker ausgeschöpft werden. Gleichzeitig muss der Druck auf den Bund steigen, denn nur eine absolute Begrenzung der Eigenanteile wird langfristig zur Verbesserung der derzeitigen Situation führen.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:
1. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, sich im Bundesrat für ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern zur Entlastung von Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen einzusetzen. Auf Bundesebene soll dabei eine Deckelung der Eigenanteile in vollstationären Pflegeeinrichtungen fokussiert werden, im Gegenzug dazu sollen sich die Länder stärker an den betriebsnotwendigen Investitionskosten von vollstationären Pflegeeinrichtungen beteiligen;
2. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, aufbauend auf der Wohngeldreform im Bund und unter Einbeziehung des Magistrats Bremerhaven
a) bei Bezug von SGB-XII-Leistungen in stationären Pflegeeinrichtungen einmalig und fortan bei Antragsstellung regelhaft einen vorrangigen Anspruch auf Wohngeldbezug zu prüfen und diesen gegebenenfalls sicherzustellen;
b) zeitnah eine flächendeckende Kampagne zum Wohngeld in stationären Pflegeeinrichtungen durchzuführen, die leicht verständlich Informationen zu den Anspruchsvoraussetzungen und konkrete Ausfüllhilfen für die Beantragung umfasst und insbesondere auch Angehörige adressiert;
3. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, zur Umsetzung von Beschlusspunkt 1 nach Einigung von Bund und Ländern im Land Bremen eine Investitionskostenförderung für vollstationäre Pflegeeinrichtungen bis zur Höhe der Einsparungen einzuführen, die bei den Trägern der Sozialhilfe durch die Deckelung der Eigenanteile entstehen. Dabei soll eine Förderung fokussiert werden, welche sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen richtet (subjektbezogene Investitionskostenförderung);
4. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, der staatlichen Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz binnen eines Jahres nach Beschlussfassung über die Umsetzung zu berichten.

Maja Tegeler, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE
Ralph Saxe, Dr. Henrike Müller und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ute Reimers-Bruns, Katharina Kähler, Arno Gottschalk, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD